«Jahrhundert-Ausstellung» für Angelika Kauffmann

Mit der Retrospektive Angelika Kauffmann präsentiert das Bündner Kunstmuseum in Chur vom 8. Mai bis zum 11. Juli eine Ausstellung der Superlative. Gegen 200 Bilder der 1741 in Chur geborenen Malerin vereinigen sich zur ersten umfassenden Gesamtschau überhaupt, 100 000 Personen haben die Ausstellung in Düsseldorf und München bereits gesehen. Kunstmuseums-Direktor Beat Stutzer hofft auf einen regen Besuch aus der ganzen Schweiz.
Knapp einen Monat vor Ausstellungsbeginn gleicht der Arbeitstisch Beat Stutzers demjenigen eines Architekten. Auf grossformatigen Grundrissen muss das minutiös geplant werden, was ab 8. Mai ganz selbstverständlich aussehen soll. Jedes Bild von Angelika Kauffmann, von der kleinen Zeichnung bis zum grossen Ölgemälde, hat bereits seinen Platz, bei der eigentlichen Hängung sind nur noch kleine Retuschen möglich. Diese ausserordentliche Vorbereitung dient einer Ausstellung, die vom Museumsdirektor als «Jahrhundert-Ereignis» bezeichnet wird. Noch nie hat das Bündner Kunstmuseum eine Künstlerin oder einen Künstler mit einem derartigen Aufwand gewürdigt.

Klischees verstellen den Blick
Angelika Kauffmann gilt gemeinhin als erste herausragende Frau in der Kunstgeschichte, als «Raffael der Künstlerinnen»; sie ist dazu als «Herzensfreundin» von Goethe, Herder und anderen Klassikern bekannt geworden und als «zarte Seele» in die Literaturgeschichte eingegangen. Der geschlechterspezifische, das heisst lange Zeit männliche Blick auf ihr Wirken als Frau hat zusammen mit obskuren Geschichten und Anekdoten viel zu einem klischeebeladenen Personenbild beigetragen, das von ihrem eigentlichen Werk mehr ablenkt als zu diesem hinführt. Zumal dieses Schaffen in seinem ganzen Umfang und damit auch in seiner Qualität bisher gar nicht gewürdigt werden konnte: Bisher waren Angelika-Kauffmann-Ausstellungen immer Zusammenstellungen von einigen wenigen, oft auch zweitklassigen Werken. So war dies zum Beispiel auch 1941, als im Bündner Kunstmuseum eine Präsentation von rund 40 Arbeiten vorwiegend aus Sammlungen aus der Region gezeigt wurden. Das war, man glaubt es kaum, die bisher letzte Kauffmann-Ausstellung in Graubünden.
Die Ausstellung «Angelika Kauffmann 1741-1807 Retrospektive» - so der offizielle Titel - soll diese Lücke mit gegen 200 Arbeiten der Künstlerin nun schliessen und den Blick auf ein überragendes klassizistisches Gesamtwerk freigeben. Nach dem Kunstmuseum Düsseldorf und dem von Christoph Vitali geleiteten Haus der Künste in München ist das Bündner Kunstmuseum als dritte und letzte Station an der Reihe. Nur durch die Kooperation dieser drei Museen ist die Ausstellung in dieser Grössenordnung überhaupt möglich geworden. Beat Stutzer ist mit seinem Museum allerdings nicht Trittbrettfahrer, sondern zusammen mit der in Düsseldorf tätigen Bettina Baumgärtel, die als Kauffmann-Spezialistin schlechthin gilt, die treibende Kraft hinter der Retrospektive.

Die Erfolgsgeschichte einer Malerin
Das Geburtshaus von Angelika Kauffmann steht an der Churer Reichsgasse. Hier wurde die Künstlerin am 30. Oktober 1741 als Tochter des seinen Aufträgen hinterherziehenden, eigentlich aus dem Vorarlberg stammenden Malers Johann Joseph Kauffmann und der Churerin Cleofea Luz geboren, wobei die Familie ein knappes Jahr später bereits nach Oberitalien weiterzog. Angelika war ein Wunderkind und hatte bereits als Elfjährige ihren ersten Porträtauftrag; gleichermassen für Musik und Malerei begabt, entschied sie sich schliesslich für die bildende Kunst. Sie etablierte sich zunächst in Italien, kam im Alter von 25 Jahren nach London und kehrte als knapp 40-jährige Frau nach Rom zurück. Angelika Kauffmann war mit ihrer Kunst unerhört erfolgreich; aus dem Nichts erarbeitete sie sich eines der grössten bürgerlichen Vermögen in Europa, und ihr Begräbnis war 1807 in Rom das pompöseste seit Raffael.
Hinter diesem materiellen Erfolg steckt Können, harte künstlerische Arbeit und Geschäftstüchtigkeit. Kauffmanns Broterwerb war die Porträtmalerei. Eine lebensgrosse Ganzfigur mit aufwendiger Kleidung und Attributen kostete 1788 bei ihr zum Beispiel 200 Guineas, ein Kopf in Lebensgrösse 24. Und da die Kosmopolitin alle Welt kannte, herrschte an Aufträgen kein Mangel; heute schätzt man, dass Angelika Kauffmann in 50 Jahren rund 500 gemalte und gezeichnete Porträts geschaffen hat. Ihr Atelierbetrieb war straff organisiert, sie arbeitete sicher und schnell, lieferte zum vereinbarten Zeitpunkt.

Kein zufälliges Geschäft
Dazu konnte sich Angelika Kauffmann in der angesehensten Gattung ihrer Kunst, der Historienmalerei, durchsetzen. Das war weit weniger selbstverständlich als der Erfolg mit den Porträts, waren doch die bildlichen Umsetzungen von Szenen aus der griechischen Mythologie für die meisten Auftraggeber, die am eigenen Abbild oder denjenigen von Familienmitgliedern interessiert waren, schlicht zu intellektuell. Ihre Kontakte zu führenden Schriftstellern wie Klopstock und Sterne liessen sie auch immer wieder Szenen aus der damals neusten Literatur malen. Jedenfalls verfügte Kauffmann in England schon nach wenigen Jahren über einen derartigen Ruf als Historienmalerin, dass sie als führende Künstlerin auf diesem Gebiet 1768 zu den Gründungsmitgliedern der Royal Academy of Arts in London gehörte.
Die Popularität ihrer Kunst im 18. Jahrhundert hat Angelika Kauffmann nicht dem Zufall überlassen. Sie beherrschte das, was man heute unter Marketing und Merchandising versteht, virtuos. Ihre Motive wurden mit Stichen weit verbreitet und tauchten auf Fächern und auf Porzellan auf. So entstand eine überwältigende Nachfrage nach ihren Werken: «The whole world is angelicamad», ein Satz eines Diplomaten in London, spricht Bände.

In der ganzen Welt verstreut
Chur hat in diesem kosmopolitischen Leben sicherlich nicht die Hauptrolle gespielt. Das weiss auch Beat Stutzer, der allerdings auf die durch die Familie der Mutter gegebene «halbe» Bündner Herkunft hinweist. Seit den Vierzigerjahren ist im Bündner Kunstmuseum ein Sammlungsschwerpunkt Angelika Kauffmann mit heute 40 Werken (darunter zehn Gemälden) entstanden. Nur die Museen in Bregenz und in Innsbruck besitzen vergleichbare Bestände. Die übrigen Bilder der Malerin sind in der ganzen Welt in Museen und Privatsammlungen verstreut, was das Vorhaben einer umfassenden Retrospektive zu einer sehr aufwendigen Angelegenheit werden liess. «Es wird immer schwieriger, Bilder für Ausstellungen zu bekommen», fasst Beat Stutzer seine Erfahrungen zusammen. Der Grund dafür liegt weniger in der Leihbereitschaft der Besitzer, die bei einer Retrospektive mit einem umfassenden Anspruch meist gegeben ist, sondern in den mit jedem Besitzer zu schliessenden Verträgen über Ausstellungs- und Transportbedingungen sowie Versicherungen. Natürlich werden die Bilder in speziellen Klimakisten geliefert, müssen sich in den Ausstellungsräumen akklimatisieren und ständig auf ihren Zustand überprüft werden. Kompliziert wird die Angelegenheit, wenn Museen ihre Bilder durch eigens entsandte Kuriere begleiten lassen. Dann quellen zum Beispiel zwanzigseitige Verträge aus dem Faxgerät, dann müssen Termine gefunden, Fahrten und Unterkünfte organisiert werden. Bei der Kauffmann-Ausstellung fordern vor allem die russischen Museen (Eremitage St. Petersburg, Historisches Museum und Puschkin-Museum in Moskau) grossen Aufwand. Die Bilder werden unter Aufsicht von München nach Chur gebracht und dort bis zum Aufhängen kontrolliert. Weniger misstrauisch sind zum Beispiel die deutschen Museen, welche ihre Bilder zur ersten Ausstellung in Düsseldorf geliefert haben und am Ende in Chur wieder in Empfang nehmen.

Die Sammlung verschwindet
Im Bündner Kunstmuseum finden Wechselausstellungen in der Regel im Sulserbau statt, wobei auch schon einige Räume der Villa Planta einbezogen wurden. Für die knapp 200 Werke der Kauffmann-Ausstellung muss die Sammlung im Erd- und Obergeschoss der Villa Planta nun erstmals einer vo-rübergehenden Präsentation weichen. Bis am 11. Juli ist im Kunstmuseum aus der Sammlung lediglich die zeitgenössische Kunst zu sehen. Auch das ein ungewohnter Aufwand, der sich im übrigen auch im finanziell notwendigen Engagement des Kunstvereins spiegelt. Für die Retrospektive ist laut Stutzer ein grösserer sechsstelliger Betrag notwendig; der Kunstverein als Träger der Wechselausstellungen gerät dadurch ebenfalls an die Grenze des Machbaren. Mit namhaften Beiträgen tragen jedoch auch Sponsoren und öffentliche Hand ihren Teil zum Aufwand bei.
Angeordnet werden die Bilder Angelika Kauffmanns wie in Düsseldorf und München, nämlich in chronologischer Reihenfolge. So beginnt der Rundgang mit Werken des Wunderkinds und findet mit den Bildern des ersten Italien-Aufenthalts seine Fortsetzung. Nur einige grosse Gemälde, die nicht an jeder Wand des Kunstmuseums Platz finden, durchbrechen die Anordnung. Dazu gehört auch das abschliessende «Selbstbildnis zwischen Musik und Malerei» (1792), eine allegorische Darstellung, welche die junge Malerin hin- und hergerissen zwischen den beiden Künsten zeigt. Dieses «Scheideweg»-Motiv ist von Angelika Kauffmann immer wieder neu umgesetzt worden.

Viel Publikum erwartet
Auch wenn die Welt heute längst nicht mehr «angelicamad» ist und die Kunst des 18. Jahrhunderts mit ihrer Motivwelt weit entfernt vom Gängigen ist, erwartet Beat Stutzer viel Publikum im Bündner Kunstmuseum. Seine Hoffnung wird vom Zuspruch in Düsseldorf und München genährt, wo sich 40 000 und 55 000 Personen von Angelika Kauffmanns Bildern anlocken liessen. Da diese einmalige Gesamtschau in der Schweiz ausschliesslich in Chur zu sehen ist, zählt Stutzer auch auf Besucher aus dem ganzen Land. Weitere Ausstellungen und Veranstaltungen (siehe S. 8) sorgen zudem in den nächsten Wochen zumindest für ein wenig «Angelikafieber» in ihrer Geburtsstadt.
Georg Fromm