Hinter den Kulissen der Churer Museen

Die im Dunkeln sieht man nicht

Wer meint, die Sammlungen der drei grossen Churer Museen zu kennen, irrt sich mit Sicherheit. In Kellern und Schutzräumen werden Bilder und Skulpturen sowie Gegenstände der Bündner Kulturgeschichte zu Tausenden aufbewahrt. Und archiviert ist auch die gesamte Flora und Fauna des Kantons. Neuerwerbungen, Behandlung und Pflege beschäftigen kleine Teams von Spezialisten. Ein Blick hinter die Kulissen des Bündner Kunstmuseums, des Naturmuseums und des Rätischen Museums. 

Ein Zivilschutzraum ist mit seinen kahlen Betonwänden und der beklemmenden Katakomben-Atmosphäre nicht unbedingt ein Ort der Kunst. Doch hinter Gittern und schweren Türen können ausser Menschen natürlich auch Kulturgüter geschützt und archiviert werden. Gemälde zum Beispiel, welche so dicht wie in keiner Ausstellung Rahmen an Rahmen an verschiebbaren Gitterwänden hängen. Porträts, Landschaften, Stillleben und andere Motive schlummern hier im Dunkeln und warten auf den Tag X, an dem sie vielleicht wieder einmal das Licht eines Ausstellungssaals erblicken.

Tausende von Objekten
Die Gemälde gehören dem Bündner Kunstmuseum. Und es sind nicht etwa Restbestände der Sammlung, die aus Platzmangel irgendwo gelagert werden müssen, sondern es handelt sich hier um den
grösseren Teil der Bestände. Nur: Wer erwartet, in den drei grossen Churer Museen – neben dem Kunstmuseum sind dies das Rätische Museum und das Natur-Museum – auch wirklich alle Schätze zu sehen, geht von falschen Voraussetzungen aus. In den Sammlungen aller Institutionen finden sich nicht bloss einige Hundert, sondern Tausende Objekte. Das geht über die quantitätsmässig kleinste Sammlung des Kunstmuseums mit seinen rund 8000 Bildern, Skulpturen und Druckgraphiken über die grossen Bestände des Rätischen Museums bis zum Archiv den Naturmuseums, in welchem sich allein schon 250 000 Insekten finden.

Obwohl die öffentliche Hand diese Einrichtungen zu grossen Teilen finanziert, sind es also quasi nur die Spitzen dreier Museums-Eisberge, welche die Öffentlichkeit zu Gesicht bekommt. Für grössere Ausschnitte fehlt – ganz profan – in allen Museen der Platz, und es fehlt teilweise auch die Relevanz. Gewisse Bilder, die nicht unbedingt zu den Meilensteinen der Kunstgeschichte zählen, finden sich in der Sammlung des Kunstmuseums, weil sie von Bündner Künstlern stammen oder einen Bezug zum Kanton haben. Im Rätischen Museum wird es dem Publikum wenig bringen, wenn zwanzig Holztruhen nebeneinander ausgestellt werden, und ebenso sinnlos ist die Präsentation aller Bündner Fliegenarten im Naturmuseum.

Nicht immer ideal
Um so wichtiger ist es deshalb, wenn die Verantwortlichen sich für die Öffentlichkeit um eine repräsentative Auswahl aus ihren Beständen bemühen. Die wissenschaftliche Assistentin des Kunstmuseums, Isabelle
Chappuis, ist überzeugt, dass dies in der Villa Planta und im Sulserbau gut gelingt: «Die meisten unserer interessantesten Werke sind ausgestellt».

Voraussetzung dafür sind unter anderem auch geeignete Räumlichkeiten, in welchen die Kunstwerke durch das Raumklima oder zuviel Licht nicht beeinträchtigt werden. Das sieht im Rätischen Museum anders aus: Zwar ist das Gebäude mitten in der Altstadt historisch wertvoll, doch als Museum ist es nur bedingt geeignet. Direkte Sonneneinstrahlung ist für die Erhaltung der Objekte denkbar schlecht, und ebenso negativ können sich Feuchtigkeit und Temperatur auswirken. Deshalb muss dem Publikum manches vorenthalten werden, was eigentlich von Interesse wäre. Hinter den Kulissen der Museen sind jeweils kleine, eingespielte Teams an der Arbeit. Ein Teil des Personals hat administrative Aufgaben zu erledigen und Aufsichtsfunktionen wahrzunehmen, ein anderer Teil befasst sich intensiv mit den Sammlungsbeständen und Wechselausstellungen. Josmar Lengler zum Beispiel hat zweifellos einen der interessantesten und vielfältigsten Jobs in den Churer Museen. Durch die Hände des Konservators und Restaurators des Rätischen Museums gehen alle wichtigen historischen Zeugnisse aus dem Kanton, vom archäologischen Fund aus Müstair bis zur originellen Papiertüte aus einer verschwundenen Churer Apotheke, einem Alltagsdokument.

Den Verfall verzögern
Nach der genauen Untersuchung eines Objekts ist Josmar Lenglers Aufgabe oft schwierig. Die Restaurierung eines Dokuments – so heissen alle Gegenstände in der Fachsprache – ist eine Gratwanderung, die
neben viel Fachwissen auch Fingerspitzengefühl verlangt. «Man muss genau wissen, wann man aufzuhören hat», erklärt Lengler, der sich bemüht, allen Objekten gerecht zu werden. Scheute man noch in den sechziger Jahren vor relativ massiven Eingriffen nicht zurück, so beschränkt sich ein Restaurator heute auf das Minimum. Nicht weniger herausfordernd ist die Konservierung, was Lengler mit «Verzögerung des Verfalls» übersetzt. Dabei gilt es auch stets, neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse zu nutzen und die Methoden so weiterzuentwickeln.

Josmar Lengler arbeitet in engen Platzverhältnissen in einem 20-jährigen Provisorium ausserhalb des Rätischen Museums. Dem Allrounder zur Seite steht mit Textil-Restauratorin Regula Hahn nur gerade eine einzige Spezialistin für ein Fachgebiet, auf dem das Rätische Museum breite Anerkennung geniesst. Decken, Tücher, Kleider und andere Stoffe werden von ihr gepflegt und bewahrt. Weil der Zahn der Zeit an Geweben stärker nagt als an den meisten anderen Materialien, ist auch dies eine diffizile Aufgabe. Ergänzt wird dieses Duo durch Remo Allemann, der sämtliche Gegenstände dokumentiert und auch Bilder für Kataloge und Plakate anfertigt.

Die ganze Natur
Prinzipiell mit ähnlichen Fragen wie die Konservatoren beschäftigt sich im Naturmuseum Ueli Schneppat. Auch er versucht, den Verfall seiner Objekte zu verzögern, nur dass es sich in seinem Fall nicht um
Dokumente der Bündner Kulturgeschichte, sondern um Tiere und Pflanzen handelt. Der Tierpräparator ist ständig auf der Suche nach neuen Methoden für die Gewebemumifizierung; mit dem alt- hergebrachten Ausstopfen einer  Jagdtrophäe hat das nur noch am Rande zu tun, zumal heute auf lange verwendete giftige Konservierungsstoffe verzichet werden kann.

Schneppat arbeitet ausschliesslich für die Sammlung des Naturmuseums, die weitgehend vollständig ist und nur noch im Zusammenhang mit Forschungsprojekten ergänzt wird. Zur Zeit sind Kleinsäuger (Eichhörnchen, Siebenschläfer, Mäuse) an der Reihe. Die zu Studienzwecken zugängliche Sammlung im Keller wird mit dem Anspruch geführt, einen vollständigen Überblick über Flora und Fauna des Kantons zu ermöglichen und auch die verschiedenen Lebensräume nachzuweisen. Dabei kann auf Bestände aus dem letzten Jahrhundert zurückgegriffen werden, wobei Kuriositäten wie der Laweina-Hirsch (ein Holzkopf mit zwei verschiedenen Geweihstangen) aus dem Jahr 1828 zu finden sind.

Vermittlung als wichtiges Anliegen
Einen Keller gibt es natürlich auch im Bündner Kunstmuseum, wobei in diesen kleinen Räumen ausschliesslich Zeichnungen und Druckgraphik aufbewahrt werden. Zum Team gehört hier Schreiner
Hansruedi Widmer, der alle möglichen Arbeiten um das Haus und im Zusammenhang mit Ausstellungen zu bewältigen hat. Ausserdem ist im Kunstmuseum mit Dominik Steinmann ein Sammlungstechniker angestellt, dessen Aufgabengebiet vom Fotografieren über die Bilderpflege bis zur Sicherheit reicht. Restauratoren werden nach Bedarf von aussen zugezogen. In die Sammlung des Kunstmuseums werden laut Isabelle Chappuis jährlich bis 300 neue Bilder und Skulpturen aufgenommen, die teilweise aus Nachlässen stammen oder gezielt angekauft werden.

Kunstmuseum und Naturmuseum bemühen sich stark um das Publikum, indem sie der pädagogischen Vermittlung ihrer Fachgebiete viel Gewicht zumessen. Die Museumspädagogin Sabina Studer führt Schulklassen und Erwachsene in die Welt der Kunst ein; Flurin Camenisch, akademischer Mitarbeiter im Natur-Museum, veranstaltet Führungen und bietet am Mittwochnachmittag eine öffentliche Sprechstunde an, in der beliebige Fragen zur Natur beantwortet werden. Wenig bekannt ist zudem, dass die gut bestückten Präsenzbibliotheken in beiden Häusern öffentlich zugänglich sind (am Mittwochnachmittag oder auf Anfrage). So lässt sich – wenn nicht hinter die Museumskulissen – doch ein wenig hinter die Kulissen eines Fachgebiets blicken.
Georg Fromm