« … und moora isch schualfrei!»

«Maiensäss» - die Seele dieses Wort kennen nur jene, die ihre Schuljugend in Chur verbringen oder verbracht haben. Am 23. Mai ist der erste Termin für den traditionsreichen Ausflug in die Höhen rund um die Stadt.

Das Churer Stadtlied «Was ist so schön wie unsere Stadt …» und das Maiensässlied «Stiller Berg viel lieber Wald …» erschallen alle Jahre aus den Kehlen der Churer Schuljugend, wenn sie am späten Nachmittag eines sonnenüberstrahlten Maitages von ihrem gemeinsamen «Maiensässausflug» in die Stadt zurückgekehrt sind. Und kaum ein Aussenstehender kann dann begreifen, dass manchen Eltern, in Erinnerung an die eigene Schulzeit, ein paar wehmütige Tränen über die Backen kollern.

Dieser wohl innigste Brauch von Chur findet seine Wurzeln in der Zunftzeit. 1835 wurde zuhanden des Schulrates der Wunsch geäussert: «Zur Ermunterung für Lehrer und Schüler soll ein allgemeines Fest im Frühling oder Herbst veranstaltet werden.» Die Idee hat gegriffen und bis heute gehalten. In den ersten Jahren nahm zeitweise die ganze Bevölkerung am Ausflug teil, wobei es, so berichtet ein Chronist, unter den Erwachsenen oft zu Ausschreitungen, Saufgelagen und Prügeleien gekommen sei. Das ist glücklicherweise vorbei. Die Kindergärtler und die Jugend der Volksschule lässt man zusammen mit ihren Lehrerinnen und Lehrern nun unter sich. Um sieben Uhr frühmorgens zieht die nicht enden wollende Schülerschlange durch das Obertor aus der Stadt, und sucht die über Chur gelegenen Maiensässe auf. Zurück bleibt eine kinderlose Stadt, was - auch das ist Tradition - von vielen Müttern für oft stundenlange Kaffeekränzchen genutzt wird.

Auf dem «Schönegg», dem «Mittenberg», dem «Känzeli», dem «Fülian», bei der «Wisshütte» oder auf «Brambrüesch» toben sie sich die Kinder derweil aus und vergessen auf den grünen Wiesen und in den Wäldern bei Spiel, Spass und Picknick den Schulstress. Ihre Rückkehr erwartet am späten Nachmittag die geschlossen Spalier stehende Bevölkerung von Chur. Die müden, aber glücksstrotzenden Kinder ziehen mit russgeschwärzten Gesichtern, in einem Wald aus Haselstauden und begleitet von Blasmusikformationen, durch die Stadt zur grossen Wiese vor dem Quaderschulhaus. Nach dem gemeinsamen Gesang des Maiensässliedes und der Churer Hymne, verkündet der «Oberlehrer» die alljährlich von unbeschreiblichem Freudengeschrei begleitete Botschaft: «… und moora isch schualfrei!»
Walter Schmid