Schrebergärten - zwischen Euro-Gipfel und Gartenzwergen

Buntes Treiben in Churs Schrebergärten Kaum wird’s wärmer und die Tage länger, sind die Hobbygärtnerinnen und Gärtner nicht mehr zu halten. Sei es aus Liebe zum Blühenden, zum Biologischen oder zu Grillfesten: wer einmal einen Schrebergarten hat, gibt ihn so schnell nicht wieder her.

Die Reben, die sich um die Pergola ranken, sind vorbildlich hochgeschnürt. Die Salate stehen in Reih und Glied. Auf Holzwolle sind die jungen Setzlinge gebetet. Selbst die Zwiebeln wirken geordnet. Kein Unkraut weit und breit. Schnurgerade liegen die Wege zwischen den Beeten, das Gartenhäuschen ist mit Sonnenstoren und Vorhängen ausgestattet, bemalte Holzteller zieren die Wand über dem gedeckten Sitzplatz. Eine Schweizerfahne weht im Wind.

Die hat Fidel Bass eben hochgezogen. Jetzt hofft er, dass der selbstbetonierte Sockel auch hält. Und dass die Fahne nicht gestohlen wird. Vorsorglich hat Bass bereits eine zweite gekauft. Die Gartenzwerge nämlich, die unschuldig in der Rabatte standen, die Gartenzwerge, die seine Frau zu je 40 Franken gekauft hatte, die waren eines Tages nicht mehr da. Gestohlen. Aus Plastik sind die Rotmützen, die jetzt die Rosen unterhalten, billiger.

Vorbildlicher Strebergarten

Gleich nach der Arbeit ist Fidel Bass hergefahren, in seinen Garten. «Im Sommer ist das mein grösstes Hobby», sagt er. «Ich wüsste nicht was machen ohne Schrebergarten.»

Was heisst Schrebergarten - es ist eher ein Strebergarten. «Einen besseren Garten als den von Herrn Bass finden Sie nicht», sagt seine Nachbarin Afra Zala. «Er ist vorbildlich.» Rund eine Stunde verbringt Afra Zala selbst täglich im Garten; und nur im Garten: zum Grillen kommt sie nie her.

Anders Fidel Bass: Häufig bruzeln Grilladen über der Glut. «Und etwa einmal die Woche machen wir ein Fest.» Vor zehn Uhr abends geht dann jedenfalls niemand nach Hause. «Die Geselligkeit gehört dazu», meint Fidel Bass. «Zum Schrebergarten.»

Das weiss auch Anni Frick. «Man trifft Leute, erfährt so dies und jenes», erzählt sie, die vor ihrem Gartenhäuschen in der Sonne sitzt. Ein Nachbar winkt am Gartenzaun und hält ihr einen Salatkopf hin. Das komme öfters vor, meint Anni Frick. «Wer zu viel hat, gibt den andern ab.»

Seit über dreissig Jahren hat sie ihren Schrebergarten. Ohne hätte sie wenig zu tun. «Ich komme nach Lust und Laune her. Heute, weil ich Bohnen stecken wollte.» Zwischendurch sitzt sie mit ihrer langjährigen Bekannten auf der Holzbank und «gschpröchlet».

Kleiner Euro-Gipfel

Kaum mehr erinnern, wie lange er schon seinen Flecken Erde auf der Unteren Au hat, kann sich Alfio Bivona. «Über 25 Jahre sind es sicher», meint er. Gemüse pflanzen ist für Ihn das eine, Geselligkeit das andere. Regelmässig treffen sich an seinem Steintisch vor dem Schrebergartenhäuschen seine Freunde. «Kleiner Euro-Gipfel» nennt er die Runde, wenn VertreterInnen deutscher, spanischer und italienischer Zunge sich die Grilltafel teilen. Entsprechend auch die Menükarte: Marinierte Kaninchen, Poulet mit viel Knoblauch, Steaks, Paella für bis zu 20 Personen und natürlich Salate und Gemüse aus der «eigenen» Erde werden gereicht und bilden den Rahmen für stundenlange Diskussionen.

Erlaubt ist, was gefällt

Drückend warmes Frühsommerwetter. Willkommene Windstösse bewegen bunte Windfahnen. In den Gärten prangen prachtvolle Blütenstauden, drehen farbige Windrädchen auf Blumenbeeten, wachsen gemischte Kräuterecken. Hier blüht ein Kirschbaum, dort eine Rhabarberstaude. Wadenhohe Tomatenpflanzen recken sich nach der Sonne. Gemüse gedeiht in Mischkultur, Monokultur und Unkultur. Und überall steht das obligate blaue Regenfass.

Man lehnt über Gartenzäune und fachsimpelt. Hört hier ein Hämmern und da ein Harken. Lachen von einer Veranda.

Die Gartenhäuschen: verwitterte, schiefe Bauten neben vorbildlichen Normhäusern. Drahtzäune grenzen an Holzverschläge. Eternitabgrenzungen an Natursteine. Ein buntes Für-, Mit- und Nebeneinander.

Die Mieter der Schrebergärten sind in der Verwendung der Materialien für die Gartenhäuschen frei. Auch die Grösse der Häuschen ist nicht reglementiert. Nur das Übernachten ist verboten. Und das Halten von Tieren.

Sie hätten bewusst kein Reglement verfasst, sagt Sonja Battaglia von der Liegenschaftsverwaltung, die seit 1978 die Schrebergärten betreut. Damit Individualität vorherrsche und eigene Ideen verwirklicht werden könnten. «Denn wo darf man das heute noch?» Dies führt zuweilen zu seltenen Blüten: Wo sonst trifft man schon auf Tomatenpflanzen, die an alten Skistöcken hochwachsen?

Geduld braucht, wer zu einem Pflanzplatz kommen will. Die hatte der italienischsprechende Familienvater, der eifrig seinen Kompost umsticht: sechs Jahre lang sehnte er diesen Augenblick herbei. Seit zwei Tagen ist er nun stolzer Mieter eines rund 100 Quadratmeter grossen Gartens. Zeit für Gespräche hat er deshalb keine: der ganze Komposthaufen muss weg, damit mit dem Bau eines Gartenhäuschens begonnen werden kann.

Mit Grünzeug gegen die Krise

Obwohl die Zahl der städtischen Schrebergärten ständig erhöht wurde, warten die meisten Anwärter einige Jahre bis ein Pflanzplatz ihr Eigen ist. Das war nicht immer so: Um 1935 wurden die Besitzer der Schrebergärten verpflichtet, gleichzeitig zwei Parzellen zu bewirtschaften. Damit wollte man sicherstellen, dass wenigstens der Kern des Schrebergartenareals bestehen blieb, das während des Ersten Weltkrieges auf dem Boden der Bürgergemeinde beim alten Gaswerk in Chur entstanden war.

Erst als der Zweite Weltkrieg ausbrach, gewannen die Schrebergärten wieder an Aktualität: Mit dem Plan Wahlen wurden die Gemeinden aufgefordert, Brachland umzupflügen und zu bepflanzen, damit sich die Bevölkerung mit Selbstgepflanztem durch die Krisenzeit bringen konnte. Aus dieser Notlage heraus erhielten die Schrebergärten wieder Aufschwung. Doch nach dem Krieg liess das Interesse an den Gärten erneut nach, sie gerieten allmählich in Vergessenheit.

In der Zeit der Motorisierung und des gesteigerten Arbeitstempos schenkte man den Schrebergärten wieder mehr Aufmerksamkeit. 1971 wurde das Schrebergartenareal beim Gaswerk um 100 Parzellen vergrössert, um die aufgehobenen Gärten, die durch den Bau der Kläranlage verloren gingen, wettzumachen. Viele Pächter verzichteten allerdings auf einen Pflanzplatz auf dem neuen Areal, weil dieses zu weit entfernt war. Es gab aber neue Interessenten. Obschon 1978 und 1982 wiederum vergrössert wurde, konnte und kann die Nachfrage nicht gedeckt werden.

Bio Logisches für die Kinder

Wer einmal einen Schrebergarten hat, behält ihn meist über Jahrzehnte. So auch die Ruzsits, die vor 26 Jahren die Gärtnerschürze umschnürten, um ihren Kindern natürlich gewachsenes Gemüse ohne Kunstdünger zu garantieren. Elmér und Silvia Ruzsits stehen fast täglich in ihrem Garten. Im Sommer essen sie ausschliesslich Selbstgezogenes, für den Winter werden Vorräte eingefroren. Jedes Jahr fertigen sie einen Plan an, damit die Fruchtfolge gewährleistet ist. Gedüngt wird nur mit Kompost, in sieben blauen Plastikfässern reift er zum Dünger heran, gehegt und gepflegt von Elmér Ruzsits.

Nicht vom Gartengemüse allein lebt Klaus Krumbiegel. Den Garten hält er, «damit man was macht.» Weil’s Freude bereitet und weil die Kartoffeln aus dem eigenen Garten natürlich besser schmecken. Wenn genug gejätet ist, besucht er auch mal die Nachbarn und diskutiert mit ihnen über Garten und Gott.

Besonders erfreulich ist für Klaus Krumbiegel, wenn er mit seinem Enkelkind Erdbeeren pflücken kann. Wenn der Nachwuchs mitgärtnert. Kinder sind zwischen den Himbeer- und Brombeerstauden allerdings eher selten auszumachen. Dabei wäre gerade dies im Sinne von Daniel Gottlob Moritz Schreber, dem Begründer der Kleingartenkultur. Der Arzt und Pädagoge Schreber hatte nämlich 1844 als Leiter einer orthopädischen Klinik damit begonnen, für seine Patienten Beete und Spielplätze anzulegen. Somit hatte er den Grundstein für die Nutz- und Erholungsgärten gelegt.

Heute ist die Nachfrage nach einem der rund 440 Pflanzplätze an der Au- und Rheinstrasse je länger je grösser. Auf die Warteliste setzen lassen können sich alle mit Wohnsitz in Chur. Und wer zu oberst auf der Liste steht, dem bringt Geduld nicht nur Rosen, sondern auch Randen, Rettich, Rüben, Rosmarin oder Ringelblumen