Alberto Giacometti, Stampa-Paris

bkm. Das Bündner Kunstmuseum widmete Alberto Giacometti und seinen Werken während der letzten Jahre zwei viel beachtete Ausstellungen. Beide galten jeweils einem ganz bestimmten Aspekt: Von Fotografen gesehen: Alberto Giacometti (1986) und La Mamma a Stampa. Annetta - gesehen von Giovanni und Alberto Giacometti (1991). Es ist aber mehr als zwei Jahrzehnte her, dass das Schaffen des bedeutendsten Bündner Künstlers zum letzten Mal in einer repräsentativen Einzelausstellung im Bündner Kunstmuseum gezeigt worden ist (1978). Umso sinnvoller und mehr an der Zeit ist es, im Museum des Heimatkantons des Künstlers wieder eine gültige Begegnung mit Alberto Giacomettis Kunst zu ermöglichen.

Die Ausstellung «Alberto Giacometti, Stampa-Paris» unterscheidet sich entschieden von den umfassenden Retrospektiven, wie sie während der letzten Jahre in Berlin, Paris, Tampere, Wien, Edinburgh, London, München, Montreal oder Frankfurt a. M. zu sehen waren. Obwohl sich die Ausstellung auf das Hin und Her Giacomettis zwischen dem heimatlichen Bergell und der Kunstmetropole Paris konzentriert und eine Vielzahl von Werken vorstellt, welche das Umfeld sowohl des Bergells wie auch von Paris zeigen, umfasst sie weite Bereiche des gesamten künstlerischen Schaffens: Die ausgewählten Skulpturen, Gemälde, Zeichnungen, Aquarelle, Druckgrafiken und Fotografien führen von den Anfängen bis hin zum reifen Schaffen der fünfziger und sechziger Jahre.

Die über 160 Werke stammen aus bedeutenden privaten Sammlungen, aus Museumsbesitz sowie aus der Alberto Giacometti-Stiftung.

Alberto Giacometti (1901-1966)

Am 9. Januar 1922 traf der 21-jährige Alberto Giacometti frühmorgens mit dem Nachtzug aus Basel zum ersten Mal in Paris ein. Am 5. Dezember 1965 bestieg er um zehn Uhr abends an der Gare de l’Est zum letzten Mal einen Nachtzug, der in nach Chur brachte. Mit Ausnahme der dreieinhalb Jahre, die Giacometti wegen des Krieges in Genf lebte, war Paris während rund vierzig Jahren seine Wahlheimat. Hier entstand der weitaus grösste Teil seines Œuvres. Seit seiner Niederlassung in Paris kehrte Giacometti jedoch immer wieder für kürzere Besuche oder für längere Aufenthalte in seine Heimat, ins Bergell, zurück. Das ist mehr als eine biografische Randnotiz, denn das Bergell bedeutete für den Künstler nicht nur Ort des Rückzugs und der Erholung, sondem stets auch Wirkungsstätte. Giacometti arbeitete viel in Stampa und in Maloja in den Ateliers seines Vaters Giovanni (1868-1933). Er fertigte dort zahllose Zeichnungen, aber auch bedeutende Gemälde und wichtige Skulpturen an. Zudem wirkten sich bei Giacometti der Herkunftsort, das dank der väterlichen Obhut selbstverständliche Hineinwachsen in die Welt der Kunst sowie die Kindheitserinnerungen, welche der Künstler später in surrealistischen Texten thematisierte, in hohem Masse auf das künstlerische Schaffen aus. Neben der emotionalen Bindung an seine Heimat spielte die lebenslange, tiefe Beziehung zu seiner Mutter Annetta (1871-1964) eine ebenso tragende Rolle für die regelmässigen Aufenthalte im Bergell.

Der Gegensatz zwischen dem ländlichen, beschaulichen Bergell und der Kunstmetropole Paris könnte kaum eklatanter sein: Hier die ordnende, strenge Hand der Mutter und das bürgerliche Ambiente der väterlichen Ateliers und dort das enge, überfüllte, chaotische Atelier an der Rue Hippolyte-Maindron, in dem er seit 1927 arbeitete. Hier die Abgeschiedenheit und Ruhe in den Bergen und dort die Welt der Literaten und Künstler, der Galerien und der Bohème rund um Montparnasse.

Alberto Giacometti starb am 11. Januar 1966 im Kantonsspital Chur. Vier Tage später wurde er auf dem Friedhof San Giorgio in Borgonovo bei Stampa zu Grabe getragen.