Chur zwischen Kupferstich und Fotografie

Mit den Malutensilien beim Haldenhüttli. Sich Zeit nehmen und mit Leidenschaft Formen, Silhouetten und Stadtstimmungen malen. Die Künstler kamen, als der Transitverkehr über die Pässe einsetzte und verschwanden mit der Entwicklung der Fotografie.

In Churer Kunsthandlungen sind sie zu erstehen: Stadtansichten aus längst vergangenen Zeiten, in Form von Stichen, Lithografien, Aquarellen, Radierungen, Aquatintas, Ölgemälden. Sie sind Zeugen der Geschichte von Chur. Im 16. Jahrhundert begann die Entwicklung jener Techniken, die eine Viervielfältigung der Werke ermöglichte: Holzschnitt, Kupferstich, Radierung, Aquatinta usw. 1798 stellte Aloys Senefelder erstmals Lithografien her, und als im 19. Jahrhundert der Stahlstich entwickelt wurde, konnten die Vorlagen in fast unbegrenzten Auflagen hergestellt werden. Die Werke wurden kaum für Wandschmuck verwendet, sondern in aller Regel für Buch-Illustrationen und zur Dokumentation von Reiserouten. Auch Chur, als wichtige Station auf der Nord-Süd-Achse, war Ziel von Malern, die von Buchverlegern nach Rätien entsandt wurden. Sie brachten die Eindrücke als Aquarelle, Bleistift- oder Federzeichnungen zurück, die Spezialisten als Vorlagen für die Herstellung von Stichen, Radierungen oder Lithografien dienten. Andere Verleger, liessen bereits bestehende Werke kopieren, wobei nicht selten ganze Figurengruppen, Wolkenstimmungen, Vordergründe usw. entfernt oder neu arrangiert wurden.

Vom Maler Johann-Ludwig Bleuler (1792–1850) ist bekannt, dass er mehrere Co-Künstler beschäftigte und bereits damals das, was man heute Marketing nennt, betrieb. Für weniger betuchte Zeitgenossen liess er seine Originale in kleinerem Format als Schwarz-weiss-Stiche herstellen und in grossen Auflagen drucken. Der Oberschicht bot er als Wandschmuck grosse Blätter in kleinen Auflagen an, die, je nach Kundenwunsch, von eigentlichen Koloristen mit Farben versehen wurden.

Als 1827 der französische Physiker Joseph Nicéphore Niepce die «Camera obscura» erfand, begann das Zeitalter der Fotografie. Die Verleger bedienten sich immer öfters dieser neuen Kunst und die Dokumentalisten mit den Malutensilien wurden immer brotloser.

Im späten 19. Jahrhundert setzte in der Malerei der Impressionismus ein, eine Gegenreaktion zur akademischen Malerei, aber auch zur Fotografie. Zu dieser Gilde ist der Churer Kunstmaler Leonhard Meisser (1902–1977) zu zählen. In unzähligen Gemälden und Aquarellen hielt er die Stadt als persönlichen Eindruck des Augenblicks fest.
Viele Zeitgenossen können sich noch an den Künstler Otto Braschler (1909–1985) erinnern. Er war einer der Letzten, der Ansichten von Chur auf Leinwand und Papier brachte und somit noch von Hand gefertigte Dokumente schuf. Bleibt noch der Kanada-Schweizer Maler Rudolf Stüssi. Mit seinem 1996 geschaffenen Aquarell «Obertor» (Ausschnitt siehe Titelbild) ist er bis heute der Letzte, der sich Chur zum Sujet nahm.

Walter Schmid