Archäologie

Vor 13 000 Jahren von Jägern bewohnt

ws. Die Überraschung war perfekt, als dem Archäologischen Dienst Graubünden im vergangenen September die Nachricht von der Universität Zürich übermittelt wurde, dass die Siedlungsspuren beim Marsöl in die Zeit um 11 000 vor Christus zu datieren sind. Für die Wissenschaft war das eine Sensation – und Chur kann sich rühmen, die Stadt mit der ältesten Siedlungsgeschichte der Schweiz zu sein.

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Die höheren Lagen der Alpen waren noch von Gletschern und Firnen der ausgehenden Eiszeit bedeckt. Darunter lag eine Landschaft, geprägt von Bergföhren und Birken. Durch das Rheintal mäanderte der fischreiche Fluss und beanspruchte für seine verzweigten Läufe praktisch die gesamte Ebene. Zu jener Zeit waren die Menschen noch reine Wildbeuter, die auf der Suche nach jagdbarem Wild, nach Wildfrüchten und essbaren Pflanzenteilen herumschweiften. Sie passten sich auch den Wanderungen von Rentier- und Hirschrudeln an und folgten diesen bis weit in die Talschaften der Alpen hinein. Als Wohnraum wurden Höhlen benutzt oder man baute hüttenartige Konstruktionen aus Holz, Rutenflechtwerk und Tierhäuten. Die meisten menschlichen Spuren im Alpenraum aus der Altsteinzeit sind im Laufe von Jahrtausenden durch erosionsbedingte Geländeveränderung zerstört oder überdeckt worden. Von diesen Naturgewalten verschont geblieben ist offensichtlich weitgehend der Hofhügel in Chur.

Werkplatz aus der Altsteinzeit

Wie bei anderen Bauprojekten in archäologisch interessantem Gebiet wurde bei den Aushubarbeiten für eine Tiefgarage beim Marsöl der Archäologische Dienst Graubünden für Untersuchungen beigezogen. Was vermutet wurde ist eingetroffen: In lediglich 1 bis 1,2 Metern Tiefe stiess man auf menschliche Siedlungsspuren. Völlig überraschend für die Wissenschaftler war jedoch, was gefunden wurde. Neben Hüttengrundrissen aus der spätrömischen Zeit und Einzelfunden der Spätbronze- und Eisenzeit (siehe Zeittabelle) konnten auch Siedlungsreste aus dem Endabschnitt der Altsteinzeit dokumentiert werden. Die archäologischen Untersuchungen brachten einen Werkplatz zur Herstellung von Werkzeugen aus Feuerstein zu Tage. Ausser einigen zerbrochenen Geräten blieb vor allem der Abfall, mehrere hundert nicht mehr verwertbare Abschläge, zurück. Das Rohmaterial, der sogenannte Radiolarit, wurde im Flussbett der nahe gelegenen Plessur aufgesammelt.

Der eigentliche Wohnplatz mit den Zeltstellen dürfte sich in unmittelbarer Nähe zum Werkplatz befunden haben. Er ist aber vermutlich 1909 beim Bau des an die Grabungsfläche angrenzenden Hotels Marsöl zerstört worden. Die Altersbestimmung der Fundstücke wurde an der Universität Zürich durch die Kohlenstoffmethode (C 14) an verbrannten Holzstücken durchgeführt. «Der unbestechliche Befund, dass an dieser Stelle vor 13 000 Jahren Menschen siedelten, war fast wie ein Lotto-Sechser», freut sich der Kantonsarchäologe Urs Clavadetscher. Für Graubünden sind dies die bisher ältesten Siedlungsspuren aus der Zeit der Jäger und Sammler, und aus dem gesamten Gebiet der Schweiz sind bisher nur wenige Fundstellen dieses Alters bekannt. Weil diese aber ausschliesslich ausserhalb von Wohngebieten liegen, kann sich Chur nun erwiesenermassen rühmen, die Stadt mit der ältesten Siedlungsgeschichte der Schweiz zu sein.

Ein geschützter «Hochsitz» Obwohl der Lebenswandel jener Menschen nicht nachgewiesen werden kann, vermutet man in groben Zügen, was sich damals am Hofhügel abgespielt hat. Auf der Suche nach jagdbarem Wild und anderer Nahrung haben die damals wie Nomaden lebenden Menschen hier mehr oder weniger lang halt gemacht, um Werkzeuge für die Jagd und die Zerlegung der Beute herzustellen. Der Platz bot Schutz vor Bergstürzen, Rüfen und Hochwassern. Zudem konnte von dieser erhöhten Stelle aus das zu bejagende Wild in weitem Umkreis ausgemacht werden. «Weder die Churer noch die Bündner Geschichte müssen wegen diesen Funden neu geschrieben werden», erklärt der Kantosarchäologe. Denn dass Menschen in jener Zeit in unseren Gegenden umherstreiften, beweise das Drachenloch oberhalb Vättis, und die Vermutung habe schon lange bestanden, dass auch Bündner Boden von ihnen in der Altsteinzeit begangen worden sei. «Der Beweis liegt jetzt vor, das erste Steinchen der Siedlungsgeschichte ist gefunden worden.»

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Ausstellung in der Kantonalbank Dieses «Steinchen» kann in Form einer Ausstellung der verschiedenen Fundgegenstände noch bis zum 19. Januar in der Schalterhalle der Graubündner Kantonalbank am Postplatz besichtigt werden. Danach finden sie ihre «letzte Ruhestätte» im Rätischen Museum, wo endlich das aus Pratteln stammende Dokument jener Zeit durch die Gegenstände echter Churer Altsteinzeit-Menschen ersetzt wird. Gegenstände der wichtigsten Fundstellen dieser Zeitepochen aus dem ganzen Kantonsgebiet sind im Rätischen Museum zu besichtigen. Die römischen Ruinen in den Schutzbauten am Seilerbahnweg werden an Führungen durch den Archäologischen Dienst Graubünden vorgestellt. Anmeldung unter Telefon 257 27 81.