Fasnacht

Auf und ab im Churer Narrentreiben

Die einen lieben sie, die anderen hassen sie: Die Churer Fasnacht. Nimmt man den samstäglichen Umzug mit Tausenden von ZuschauerInnen als Gradmesser, so dürften Letztere in der Minderzahl sein. Aber auch an den anderen Tagen zwischen dem 23. und 28. Februar wird sich die Stadt in ein Tollhaus verwandeln, mit langer Tradition im Rücken.

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Seit wann es während den Tagen und Nächten kurz vor der Fastenzeit in Chur «rund» läuft, lässt sich nicht genau festlegen. Sicher ist, dass im Mittelalter die städtische Obrigkeit versuchte, fasnächtliches Treiben und die mit einem erotischen Inhalt versehenen Bräuche, wie das Tanzen, mit polizeilichen Massnahmen zu unterdrücken. So verlangte noch um 1860 ein «Sittenmandat» die Erfüllung zahlreicher Bedingungen für die Veranstaltung von «Tanzpartien»: Mit der

Voranzeige bei der Polizei mussten gleichzeitig 20 Franken zugunsten der Armenanstalt hinterlegt werden; Tanzveranstaltungen während den sonntäglichen Gottesdiensten und vor 15.00 Uhr wurden untersagt; ausserhalb der «Carnevalszeit» durfte nur einmal im Monat im selben Lokal getanzt werden, wobei «Händel, die nächtliche Ruhe störender Lärm oder sonstiger Unfug» mit einer halbjährlichen Sperre geahndet wurden.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts beschränkten sich die närrischen Aktivitäten im Wesentlichen auf Maskenbälle, Konzerte und Theateraufführungen, wobei der Casino-Saal am Kornplatz als eigentliche Fasnachtshochburg galt. Eine Anzeige aus dieser Zeit lässt erahnen, was sich damals

abspielte: «Samstagabend, den 14. Januar, im Casino-Saale: Grosser Masken-Ball mit Karlsbader-Musik, wozu Herren und Damen von der Stadt sowohl als vom Lande höflichst eingeladen werden. Ein reichhaltiges Lager prachtvoller Kostüme ist im Casino mietweise zur Auswahl aufgestellt.» Zur Teilnahme gelockt wurde mit dem Zusatz: «Nach den jetzt schon bekannten Teilnehmern zu schliessen, ist eine ausgewählte Gesellschaft jüngerer Herren und Damen garantiert und ein genussreicher Abend in bestimmter Aussicht.»

Baisse während den Kriegsjahren

Ein Höhepunkt muss die Fasnacht von 1887 gewesen sein. Erstmals erschien eine Fasnachtszeitung in der «narrenamtlich beglaubigten Auflage von 400 000 Exemplaren». Auch ein Fasnachtsumzug wurde im selben Jahr auf die Beine gestellt. Zwar war es nicht der erste, aber sicherlich der grösste, den die Churer bis anhin zu sehen bekamen. Nach der Jahrhundertwende begann das Narrentreiben zu stagnieren und erreichte 1908 den absoluten Tiefpunkt. Eine Gruppe Maskierter zog unter Trommelschlag durch die Stadt, um die Fasnacht zu Grabe zu tragen. Auf der Metzgerbrücke wurde eine Puppe, die die Fasnacht versinnbildlichte, angezündet und in die Plessur geworfen.

Wer nun glaubte, Chur würde künftig narrenfrei sein, täuschte sich. Zwar wurde während dem Ersten Weltkrieg nur in einfachem Rahmen gefeiert, doch der Durchbruch zeigte sich bereits 1920 mit dem ersten grossen

Maskenball nach dem Krieg im «Drei Könige» und dem Erscheinen der Fasnachtszeitung namens «Lötkolben». Von nun an gings wieder aufwärts. 1923 wurde die erste Fasnachtsplakette herausgegeben, jährlich stattfindende Umzüge lockten immer mehr Zuschauer in die Stadt und Eröffnungs- und Kehrausbälle flankierten die närrischen Tage.

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Trotz der gespannten Situation in Europa wurde 1939 ein Umzug organisiert. Weil das Benzin bereits rationiert war, spannte man kurzerhand wieder die bewährten «Hafermotoren» vor die Wagen. Nach der Empfehlung der Behörden, im Jahr darauf keine Fasnacht abzuhalten, wurde anschliessend bis Kriegsende durch den Stadtratsausschuss ein Fasnachtsverbot verfügt. Gegen die Initiative alter Fasnächtler, 1946 wieder einen Umzug auf die Beine zu stellen, protestierten 80 Einwohner ergebnislos. Die 17 Wagen und Gruppen symbolisierten die Wiedergeburt der Churer Fasnacht, die bis 1960 boomte und einzig 1951 wegen der schrecklichen Lawinenkatastrophen ausgelasssen wurde. Doch die Lust am Fasnächteln schwand erneut, bis 1968 einige Angefressene die neue Fasnachtszeitung «Schparz» lancierten und im Jahr danach Richard Menzel für seine Verdienste als Musiker, Literat und Philosoph zum ersten «Schparz-Ordensträger» machten.

«Margrittli-Kligga» bringt neuen Schwung

Die Geburtswehen der Churer Fasnacht der Neuzeit setzten erst 1975 mit Gründung der Margrittli-Kligga ein. Von den anfänglichen Kinder-Fasnachtsumzügen sprang der Narrenfunke auch auf die Erwachsenen über und bereits 1980 sprach man von einer

eigentlichen Fasnachts-Epidemie in Chur. Im Zentrum der närrischen Zeit stand immer noch der Umzug am Samstag. Den Fasnachts-Auftakt lancierte viele Jahre der «Club 20-er» mit Eröffnungsball «Blau 81». In den achtziger Jahren begann sich das Fasnachtstreiben auch immer mehr in die Gassen und auf die Plätze der Altstadt zu verlagern. 

Was einst vielfach auch als «Töpler- und Aufreisseranlass» in den Beizen galt, wandelte sich in eine eigentliche Strassenfasnacht.
Verantwortlich dafür war die Fasnachtsvereinigung, die zur Bereicherung der Umzüge auswärtige Guggenmusiken einlud. Diese strömten nächtens durch die Altstadt, konzertierten auf den Plätzen und in der Rathaushalle und drängten in die Restaurants, wo ihre Darbietungen eine willkommene Abwechslung zum üblichen Maskentreiben darstellten.

Durchgehend Freinacht

Seit Jahren zählt die Churer Strassenfasnacht zu den qualitativ und quantitativ herausragendsten im Lande. Denn nicht umsonst zieht es Guggenmusiken aus Fasnachtshochburgen der ganzen Schweiz in die Bündner Hauptstadt, wo sie in närrischer Konkurrenz mit den einheimischen Formationen auf Teufel komm raus in die Instrumente blasen und auf die Trommeln hauen. Das Fasnachtstreiben dürfte in diesem Jahr einen erneuten Schub erhalten. Denn in Anlehnung an das neue Gastwirtschaftsgesetz hat der Stadtrat beschlossen, vom Freitag, 23. Februar bis und mit Dienstag, 27. Februar, den Restaurants in der Stadt durchgehend Freinacht zu gewähren. Mit Problemen rechnet deswegen die Stadtpolizei nicht. «Die Fasnacht», meint Ueli Caluori, Polizeichef-Stellvertretender, «läuft seit Jahren erstaunlich reibungslos ab.» Zu verdanken sei das einerseits der sehr guten Zusammenarbeit mit der Fasnachtsvereinigung unter dem Präsidium von Jack Taisch und andererseits allen Narrenreitern generell. «All diesen möchte ich ein Kompliment aussprechen.»

Start mit der Schparz-Ordensverleihung

Bereits eine Woche vor dem eigentlichen Fasnachtsbeginn, am 17. Februar, wird im Marsöl mit dem Kostümeröffnungsball auf die närrischen Tage hingefiebert. Der eigentliche Auftakt der Churer Fasnacht 2001 erfolgt traditionsgemäss am Freitagabend (23. Februar) mit der Schparz-Ordensverleihung im «Drei Könige». Dieser Anlass, mit Laudation, Gegenrede des oder der Geehrten, Skatches und Unterhaltung im Beisein aller Ordensbrüder und der Ordensschwester, ist wie immer öffentlich. Das ganze Zeremoniell beginnt um 19.00 Uhr.

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Höhepunkt wird auch in diesem Jahr der Umzug vom Samstag sein. 60 Wagen werden in diesem Jahr ab 14.00 Uhr dem Publikum vorgeführt. Natürlich hoffen die Organisatoren, dass alle Zaungäste mit der Fasnachtsplakette an der Brust das Spalier bilden werden. Denn Plakette tragen ist «obligatorisch», will man das Gesicht wahren und mit gutem Gewissen die rund dreistündige Unterhaltung in vollen Zügen geniessen. Plakette und Programmheft zum Preis von 8 Franken können bereits ab Anfang Februar in den meisten Churer Restaurants bezogen werden.

Nach dem Umzug erwärmt man sich natürlich in irgendeiner Beiz in der Innenstadt. Zum Beispiel im «Freieck», wo an der «Miss Raetia Bar» die wohl hübschesten Närrinnen des Kantons ihre Gäste bis tief in die Nach hinein bewirten.

Ein Dutzend Schnitzelbank-Formationen

Was einst vom Drei König-Gastronomen Philipp Schällibaum ins Leben gerufen wurde, wird heuer zum zweiten Mal von einem rund um die Schnitzelbank-Gruppen gebildeten OK organisiert: Der nicht mehr aus der Churer Fasnacht wegzudenkende Schnitzelbank-Abend am Montag, 26. Februar. Rund ein Dutzend spitzzüngige Churer Formationen, vom Duo bis zum Chor, nehmen aufs Korn, was im vergangenen «Berichtsjahr» in hiesigen Gefilden und auf dem Rest des Globus schief und schräg gelaufen ist. Offiziell besucht werden von den Bänken sechs «Beizen» und zwar so, dass zwischen den Vorführungen praktisch keine Pausen entstehen und überall gleichzeitig, nämlich um 19.00 Uhr, begonnen wird. Die Schnitzelbank-Lokale in alphabetischer Reihenfolge: Capellerhof (252 59 77), Controversa (252 99 44), Drei Könige (252 92 29), Gansplatz (252 14 57), Merz (257 15 14) und Rheinkrone (284 44 79). Weil in den vergangenen Jahren der Publikumsaufmarsch jeweils so gross war, als gäbe es etwas gratis, ist frühzeitiges Erscheinen oder vorgängige Platzreservation unbedingt zu empfehlen.

Von Beiz zu Beiz

Der Sonntagnachmittag steht ganz im Zeichen der Jungfasnächtler. Marsöl, Drei Könige und Freieck bieten ihnen in ihren Lokalen ein Tummelfeld mit Musik, Unterhaltung und vielen Überraschungen. Flankiert werden diese Saal-Anlässe von einem gemeinsamen Kinderumzug durch die Innenstadt.

Allen Fasnachtstreibenden, die dem Kindesalter entwachsen sind, bieten praktisch alle Restaurants zwischen Fasnachtsbeginn und Aschermittwochmorgen Gelegenheit, sich auszuruhen, die Becher zu heben, Kraft zu tanken und närrisch-fröhlich zu sein. Entsprechend verändern die Wirtsleute das Interieur ihrer Lokale bis fast zur Unkenntlichkeit. Die besten Dekorationen werden auch heuer von einer auserlesenen Jury der Fasnachtsvereinigung prämiert und die drei Besten mit dem ersten Preis beglückt. Nahen die Morgenstunden des Aschermittwochs, dann treffen sich die Standfestesten unter den Churer Fasnächtlern in der Storchengasse beim «Edelweiss». Hier startet bei Tagesanbruch der inoffizielle aber ultimative Abschlussumzug, der das Ende der diesjährigen Churer Narrenzeit signalisiert. Bis dann sollte, der Überlieferung zufolge, alles Fleisch und Fett in den Haushalten aufgebraucht sein, damit die folgende, 40-tägige Fastenzeit, auch wirklich begangen werden kann.