Churer outside

«Das mit Alien geht mir langsam auf den Keks»

Innenarchitekt, lautet Hansruedi Gigers Berufsbezeichnung im Telefonbuch. 1962 ist der damals 22-jährige aus seiner Geburtsstadt, besser gesagt aus der Storchengasse in Chur, ausgezogen, um in Zürich Architektur und Industriedesign zu studieren. Von dort aus hat HR Giger mit seiner phantastischen Kunst die Welt erobert – und ist kein bisschen müde. Dem «Churer Magazin» hat er Mitte Januar in seinem Atelierhaus in Zürich-Oerlikon über seine Freuden, Sorgen und Pläne erzählt, und wie ein ganz normaler Tag des Nachtmenschen HR Giger abläuft.

«In der Regel schlafe ich bis nach dem Mittag und stehe so gegen vierzehn Uhr auf. Dann beginne ich, solange die Geschäfte und Büros noch geöffnet sind, zu telefonieren und organisieren. Im Moment betrifft das in erster Linie die neue Bar, die ich für mein Museum im Château St. Germain in Gruyères baue. Da sind allerhand Abklärungen zu treffen, Material zu bestellen und und und. Die Gewölbedecke und die speziellen Tische baue ich hier im Atelier, wobei mir ein Kollege dabei behilflich ist. Das Gestell wird modelliert, gespritzt, geschliffen und poliert. Danach werden Silikonformen hergestellt und in Spritzbeton und Glasfasern gegossen. Das ganze Interieur mache ich bewusst in Beton, damit es dem Schlosscharakter entspricht. Neben diesen Arbeiten für das Museum passiert natürlich noch allerhand anderes. An den Nachmittagen kommen auch oft Besucher. Dabei muss ich mich auf jene konzentrieren, mit denen ich irgend eine geschäftliche Beziehung habe. Es kommen aber auch viele andere, zum Beispiel Schüler, die irgend eine Arbeit über mich schreiben wollen. Demnächst erwarte ich wieder einen Studenten von der Universität Valencia aus Spanien. Er wurde von der Pro Helvetia zu mir geschickt und macht eine Doktorarbeit über mich.

Am späteren Nachmittag machen wir manchmal etwas zu Essen im vorderen Atelierhaus oder ich nehme mir einfach etwas aus dem Kühlschrank. Ich lebe praktisch aus dem Kühlschrank. Dann gehts wieder an die Arbeit, bei der auch meine Freundin Carmen hilft. Sie hält sämtliche Arbeiten auf Video fest. Diese Dokumentationen sind auch fernsehtauglich. Im Moment nimmt Carmen alles rund um die Museumsbar auf. Carmens Mutter macht meine Buchhaltung.

Am Abend beginne ich zu zeichnen. Später schaue ich oft einen Film im Fernsehen, mit Vorliebe Akte-X oder Outerlimits. Dann mache ich mit Zeichnen weiter. Praktisch jede Nacht telefoniere ich mit meinem Agenten und meinen Freunden in Amerika und informiere mich, was so alles läuft in Los Angeles und New York. In New York habe ich den Limelite-Club. Das ist eine Plattform für mich, um den Amerikanern meine neuen Sachen zu präsentieren. Der Club ist übrigens in einer Kirche, und in einem Seitenschiff gibt es die Giger-VIP. Meistens gehe ich erst so gegen acht Uhr morgens schlafen. Das Wichtigste für mich ist im Moment das Museum in Gruyères, das von der Directrice Barbara Gawrysiak, einer ehemaligen Professorin für Gentechnologie, geleitet wird. Ich bin jetzt in der Schlussphase des Museums-Ausbaus und das Ganze geht finanziell noch nicht auf. Vor allem im Winter läuft es noch nicht nach Wunsch. Aber ich denke, wenn die Bar im Sommer eröffnet wird, dann geht es aufwärts, weil dann das Angebot auch grösser wird für Apéros und Privatfeste. Man kann die Räumlichkeiten mieten und Hochzeiten, politische Kreise, allerhand Gesellschaften und sogar das Militär haben davon schon Nutzen gezogen. Das Museum ist für mich allein finanziell nur schwer tragbar, ich verblute fast daran, weil ich bis jetzt alles selber berappt habe. Wir sind jetzt daran, ein Stiftungskonzept zu erarbeiten. Wenn das klappt, sind sicher auch Leute da, die mich mit Geld unterstützen werden.

In Arbeit ist im Moment auch ein virtueller Rundgang durch das Museum auf meinen Internetseiten, die seit vier Jahren bestehen.

www.hrgiger.com ist die europäische und www.giger.com die Homepage von Los Angeles.»

Giger erhebt sich plötzlich und geht aus dem mit Bildern, Skulpturen und Utensilien vollgepferchten Raum. «Muss nachschauen, ob ich draussen das Wasser vom Zodiac-Brunnen abgestellt habe.»

Zwei Minuten später kommt er zurück: «Wenn der Brunnen in dieser Jahreszeit in Betrieb ist, verstopfen Blätter das Gitter mit den Löchern, durch die die Teller mit den Skulpturen angetrieben werden. Der Brunnen sollte nach Nürnberg. Ob es schlussendlich funktioniert, weiss man nie. Ich bin von dort angefragt worden, etwas zu gestalten, etwas massives, grösseres. Eigentlich hätte der Brunnen nach Chur kommen sollen, vor die Giger Bar. Aber leider wurde nichts daraus. Schade. Ich hoffe immer noch, dass er irgendeinmal in meine Heimatstadt kommt.

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In Arbeit hab ich momentan auch Plakate für ein Stellungsvermittlungsbüro in Zürich. Die Skizzen liegen

bereits vor. Damit sollen junge Leute animiert werden, handwerkliche Berufe wie Schreiner, Schlosser, Maurer, Kaminfeger et cetera zu lernen. Ich weiss nur noch nicht genau, wie ich das machen will. Die Plakate fallen dann im Frühling vielleicht schon auf, mit dieser komischen Darstellung mit Arm/Bein-Konstruktionen. Die sind so etwas wie ein Maskottchen von mir geworden …»

An der Tür läutet es. Giger geht hinaus und kommt mit einem Päckchen zurück. «Auf dieses habe ich gewartet, Videos mit Filmen aus den USA. Als Mitglied der Accademy of motion pictures and sience kann ich jedes Jahr, seit meinem Oscar-Gewinn, meine Stimmen für die bevorstehenden Oscar-Träger abgeben. Die Videos schau ich mir heute Nacht an.» Giger legt die Schachtel beiseite.

«Ja, so fällt halt allerhand an. Vieles sind Designeraufträge. Kürzlich habe ich für die Metal-Band Korn aus den USA einen Mikrophonständer gemacht, so eine Frau, natürlich eine ganz dünne und lange. Für eine Computerfirma kreierte ich einen Virus,

ein Riesenviech, für eine Ausstellung. Praktisch alles, was ich mache, sind Auftragsarbeiten. Sehr oft muss ich auch nur das Copyright für etwas von mir geben. Die französische Sängerin Mireille Farmer aus Frankreich hat zum Beispiel das Recht gekauft für eine elf Meter hohe Figur, die als Bühnenhintergrund bei ihren Rockkonzerten dient. Eine wahnsinnige Sache. Von den Copyrights lebe ich weitgehend, denn Originalbilder von mir kann ich keine mehr weggeben. Es gibt keine mehr. Ich suche sogar selber meine eigenen Bilder, um sie zurück zu kaufen.

Das mit den Bildrechten ist eine leidige Sache. Es wird von mir unheimlich viel geklaut, das sind alles Halunken. Dagegen kann man leider fast nichts machen, ausser Respekt einflössen. Einen haben wir vor Gericht geschleppt. Der hat, ohne sich an die Abmachungen zu halten, T-Shirts mit meinen Sujets bedruckt und verkauft. Ein US-Gericht hat erwirkt, dass er mir seine illegalen Einnahmen in der Höhe von etwa 100 000 Stutz aushändigen musste. Diesen Fall haben wir zur Abschreckung durchgezogen. Die legale Benützung von meinen Arbeiten, die irgendwie in der Öffentlichkeit auftauchen, machen kaum die Hälfte aus. Weit über fünfzig Prozent sind geklaut, für CD Covers, Plakate, Drucksachen, Möbel, Snowboards und so weiter, und ich sehe keinen Cent davon.

Viele zeichnen auch von mir irgend etwas nach, in meistens miserabler Qualität. Es ist nicht überheblich, aber bis jetzt habe ich noch niemanden gesehen, der meine Sachen besser kopiert als ich es mit der Spritzpistole gemacht habe. Es gibt viele Nacheiferer von mir. Das ist ja gut. Aber die probieren nichts anderes und nehmen sogar die gleichen Farben wie ich, Tusche und Weiss. Das ist doch peinlich. Die kommen dann zu mir und erwarten ein Lob. Das ist dann schon eine schwierige Sache.

Viele haben sich auch auf Alien eingeschossen und machen irgend etwas daraus. Für mich war dieses Individuum einfach einmal eine Auftragsarbeit. Das geht mir sowieso langsam auf den Kecks, das Alienzeugs. Davon hab ich den Ruf von Grusel und Horror, was ich in meinen Bildern gar nicht so empfinde. Mein ganzes Werk ist lange nicht alles Horror. Der Oscar für Alien hat mein Image geprägt, dagegen kann ich nichts machen ausser zu versuchen, das zu relativieren und die Leute aufzurufen, ins Museum nach Gruyères zu kommen, um zu sehen, dass HR Giger nicht aus Grusel und Horror besteht.»

Walter Schmid