Araschgen - Passugg

Auf neuem Weg ins ländliche Stadtquartier

Am Sonntag, 6. Mai, wird der neue Fussweg zwischen dem Susenbühl-Quartier und dem «Araschgerrank» mit einem Fest offiziell eingeweiht. Damit wird der gefährliche Marsch über die Kantonsstrasse nach Araschgen-Passugg Vergangenheit. Der Weg symbolisiert aber auch die Verbundenheit zwischen der Stadt und dem Quartier, das weit mehr Herz und Seele hat, als es den Anschein macht.

Ein gewisser Bürger namens Simon Benedict beschwor im 19. Jahrhundert die Gefahr einer «Pöbelstadt» herauf und meinte damit auch Araschgen, «eines dieser minderen Quartiere von Chur, mit rückständigen und dumpfen Landbewohnern». Möglich, dass der Herr Benedict die Araschger um ihr rundes Dutzend Beizen beneidete, wo die Wirtsleute des «Kronenhof», des «Bündtli», des «Winkel», der «Veltlinerhalle», des «Alpenrösli» usw. in den Amtblättern die innerstädtische Bevölkerung mit «Tanzbelustigungen» bewarben. Der Fussmarsch führte entweder vom Sand her über den Krematoriumweg, oder – der kürzere Weg – vom Obertor über die Kälberweide nach Araschgen. Beide Wege sind im Laufe der Jahre in einen kaum mehr begehbaren Zustand verfallen. Wer dennoch Araschgen auf Schusters Rappen erreichen oder von dort in die Stadt wandern wollte, musste die Kantonsstrasse unter die Füsse nehmen, die bei zunehmendem Verkehrsaufkommen immer gefährlicher wurde.

Eine lange Weg-Geschichte

Vor rund dreissig Jahren wurde von Araschgern erstmals das Begehren an die Stadt getragen, den Kälberweideweg in Stand zu stellen. Es folgte ein zähes Ringen, bis schliesslich der heutige Fussweg zwischen Susenbühl und Araschgerrank Tatsache wurde. «Jetzt kann die Bevölkerung aus Araschgen und Passugg und jene, die unten wohnen, gefahrlos über den neuen Weg hin und her marschieren», freut sich Willy Hochstrasser, Präsident des Quartiervereins Araschgen-Passugg. Er ist ganzjährig begehbar und dient den Araschgern und Passuggern als Weg zur Arbeit, zum Einkauf, in den Ausgang und zurück, den Bewohnern der Stadt als Spazierweg. «Für Wanderer ist er Abschluss vom Polenweg nach Chur», so Hochstrasser, «und für Jogger ein Stück harte Arbeit. Das alles wollen wir am 6. Mai an einem gemeinsamen Fest mit allen Churerinnen und Churern feiern» (siehe Kästchen).

Über den Fussweg «zur frohen Aussicht» sollen dann in Zukunft die Städter in jenes Stadt-Quartier gelangen, das gebietsmässig auf die Gemeinden Chur, Churwalden und Malix verteilt ist, eine reformierte Kirche mit ökumenischem Charakter, eine Primarschule, einen Kindergarten, einen Frauenverein, einen Feuerwehrzug, einen Schützenverein, einen gemischten Chor, das Restaurant «Zur Mühle» und einen Quartierverein hat. Von den heute 420 Einwohnern von Araschgen-

Passugg leben 260 auf Churer und 160 auf Churwaldner Boden. Obwohl ein grosser Teil der Erwärbstätigen in Chur arbeitet, behaupten sich immer noch verschiedene kleinere Gewerbe- und vier Landwirtschaftsbetriebe.

Vom Kurbetrieb zur Hotelfachschule

Bereits im Jahr 1562 berichtete Johannes Antistes Fabricius über das «Arasger Sauerwasser», dessen Quelle aber erst 300 Jahre später vom Churer Tapezierermeister Ulrich Sprecher beim Goldschürfen in der Rabiosaschlucht entdeckt wurde. Damit begann die Geschichte des heute noch einzigen Industriebetriebes, der Passugger Heilquellen AG. Es entstand ein Kurbetrieb, der zwischen der Jahrhundertwende und dem 1. Weltkrieg mit grosser Unterstützung des nachmaligen Generalstabschef Theophil Sprecher von Bernegg richtiggehend blühte. Gästen aus allen Herren Ländern wurden Trink- und Badekuren angeboten und das Tafelwasser «Theophil» sowie die Medizinal- und Heilwasser fanden, in Flaschen abgefüllt, immer grösseren Absatz. Mit den Weltkriegen kam der Einbruch, von dem sich der Kurbetrieb nicht mehr erholte. Hingegen wurde der Name «Passugger» national zum Synonym für Mineralwasser. Ein Felssturz verschüttete 1948 die Trinkhalle und das Abfüllgebäude, worauf die Anlage am heutigen Standort errichtet wurde. Die jüngste Geschichte: vor drei Jahren erwarb die Feldschlösschen-Hürlimann Holding AG die Mehrheit an der Passugger Heilquellen AG, die im März letzten Jahres für die Abfüllwerke Passugger und Rhäzünser das Zertifikat für Qualitätsmanagement erhielt.

Qualität wird auch im ehemaligen Kur- und Kneipphotel Passugg «produziert». Hier ist seit 1990 das Schulhotel der HTF Hotel- und Touristikfachschule untergebracht, eine internationale Kaderschmiede und Garant einer soliden Grundausbildung für Hotellerie und Gastronomie im In- und Ausland. In Sachen Internationalität ist das Quartier hinter dem Araschgerrank – das übrigens auf dem neuesten Churer Stadtplan nicht existiert – der Stadt weit überlegen: 66 Nationen waren bisher im Schulhotel vertreten, von Mauritianern bis Vietnamesen, von Belizianern bis Schweden, von Nepalesen bis Gambianern. Bis zu 160 junge Menschen wohnen pro Semester in Araschgen-Passugg und rühren jeweils auch tüchtig die Kelle, wenn der Quartierverein sein Jahresfest durchführt.

Ein schweizerisches Selbsthilfewerk

Dass in Passugg die erste Schweizerische Bildungsstätte für Gehörlose, Schwerhörige und Spätertaubte beheimatet ist, verdankt der Ort der einheimischen Dorothea Brüesch. Sie vererbte 1983 den Gehörlosen die 27 000 Quadratmeter grosse Liegenschaft «Fontana» zur Nutzung für Bildungszwecke. Nach der Genossenschaftsgründung 1993 wurden «Nägel mit Köpfen» gemacht. Hörbehindertengruppen machten sich mit der Unterstützung von freiwilligen Helfern daran, die baufälligen Gebäude zu sanieren. Vier Jahre später wurde die Bildungsstätte eröffnet. Seither geniessen Hörbehinderte in Passugg Bildungsferien, Kurse, Seminare, Veranstaltungen usw. Das finanzielle Fundament bilden unzählige SpenderInnen, Stiftungen, Firmen, gemeinnützige Organisationen, politische und kirchliche Gemeinden sowie die rund 370 Genossenschaftsmitglieder. Die von Natur umgebene Bildungsstätte mit 36 Betten, verschiedenen Schulungsräumen, modernen Kommunikations- und Präsentationstechniken und einer gepflegten Küche (Voll- oder Halbpension), ist auch offen für Hörende, als TeilnehmerInnen von angebotenen Kursen und Veranstaltungen oder als Gäste für Geburtstagsfeiern, Jahrgängertreffen, Vereinsausflüge usw.

Freuden und Sorgen

Seit 1986 wird durch den Quartierverein Araschgen-Passugg jährlich drei bis vier Mal die «Araschger Huuszitig» herausgegeben. Kommuniziert werden in dieser Publikation vorwiegend Informationen, welche das Leben in Araschgen-Passugg betreffen. Zum Beispiel Schulisches. Die Primarschule Araschgen-Passugg wird von einem Zweckverband der Gemeinden Chur, Malix und Churwalden getragen. Zur Zeit werden im heimeligen Chalet-Schulhaus oberhalb des Schulhotels der HTL 17 Kinder von zwei Lehrkräften unterrichtet. Verringert sich die Schülerzahl weiter, droht der Schule das Aus. «Das zu verhindern, ist eine unserer wichtigsten Aufgaben», erklärt Willy Hochstrasser. Ein Lichtblick ist der Kindergarten, der dank zwei zusätzlichen Kindern ab kommendem Schuljahr wieder «in Betrieb» genommen werden kann. Die Schule über Jahre hinaus retten, ist jedoch nur durch den Zuzug von Familien mit Kindern möglich. Hier setzten die Araschger den Hebel an der Basis an und schaffen Wohnraum. So soll z. B. keine 300 Meter hinter dem Araschgerrank eine Sonnenhaussiedlung entstehen, in ökologischer Bauweise im Niedrigstenergiestandard. Nicht nur dort, sondern auch für anderen profilierte Areale und bestehende Wohnlagen in Araschgen-Passugg gilt: «Dort ist Landlust, Ruhe und Grün herrscht vor, Schafe und Rinder weiden auf den Wiesen und man wohnt trotzdem in Chur.» Diese Vorzüge haben längst schon viele einstige Stadtbewohner erkannt und sind hinaufgezogen in das Stadt-Quartier mit dem ländlichen Charme, wo die Kinder noch Natur geniessen und erleben können, wo die Sonne ihre Strahlen im Sommer morgens um 7 Uhr aussendet und erst gegen 18 Uhr untergeht und wo im Winter die kürzeste Sonnenscheindauer immer noch drei Stunden beträgt.

Und für den Besuch in der Stadt ist nicht einmal ein privates Fahrzeug notwendig. Mit dem öffentlichen Verkehr ist Araschgen-Passugg über die Postautolinie Chur–Tschiertschen tagsüber – mit einigen Lücken – im Stundentakt erschlossen und mit den Fahrzeugen der Linie Chur–Lenzerheide wird die Haltestelle Araschgerrank bedient. Dort beginnt auch der neue Weg, über den man in weniger als 20 Minuten in die Churer Altstadt gelangt. «Ein Weg, nicht nur mit herrlicher Aussicht», erklärt Willy Hochstrasser. «Er symbolisiert auch die Zugehörigkeit von Araschgen-Passugg zur Stadt und die Verbundenheit der Bevölkerung.»

Walter Schmid