Die Freiheit - im Sennhof findet sie ein vorläufiges Ende

Die Insassen der Strafanstalt Sennhof in Chur haben eigentlich alles, was sie zu einem Leben in Gefangenschaft brauchen. Nur eines haben sie konsequenterweise nicht: die Freiheit. In dieser Strafanstalt verbüssen jährlich rund 156 Insassen ihre Strafe. So treffen rund 45 Nationalitäten aufeinander. Öffentliche Führungen sind möglich.

Auf Besucher der Strafanstalt Sennhof wirkt das blosse und erst noch auf kurze Zeit beschränkte Hiersein bereits irgendwie beklemmend. Aber der Gefängnistrakt ist gut gesichert. Jede einzelne Türe muss Gefängnisdirektor Andrea Zinsli aufschliessen und gleich wieder verschliessen. Ohne passenden Schlüssel ist da sonst kein Durchkommen. Kameras beobachten jede Bewegung. Die hohen Mauern im rückwärtigen Gefängnisteil sind mit Stacheldraht zusätzlich gesichert. Ein Leben hinter Mauern und Gittern eben. Gerade so, wie man es sich als Gefängnis-unerfahrener Laie vorstellt. Auf manchen Fenstersimsen liegt zum Kühlen Schokolade, Schachtelkäse oder eine Packung Milch. Der Blick durch die Gitterstäbe in den winzigen Zellen mit Bett, Regal, Lavabo und WC ist eingeschränkt, aber ein Stück des blauen und manchmal auch grauen Himmels ist doch sichtbar. Ein kleines Stückchen Freiheit.

Wenn der Vollzugsangestellte das Essen austeilt, schiebt er den Teller durch die kleine Klappe an der Tür. An jenem strahlend blauen Vorfrühlingstag, als ich die Strafanstalt besuchte, standen Schweinskotelett mit Bratkartoffeln und Gemüse auf dem Menüplan. Für die Vegetarier und Moslems unter den Insassen bereitete Küchenchef Hanspeter Krebs Käseschnitten und «Kabissalat» zu. Auf Religionszugehörigkeiten oder spezielle Essensphilosophien (vegetarisch) sowie auf ärztlich verordnete Diäten nehmen Anstaltsleitung und Küchenchef Rücksicht. Nicht aber auf bestimmte Gelüste oder andere Vorlieben. «Sonst», sagt Hanspeter Krebs, «müssten wir wohl für fast jedem Einzelnen ein separates Menü kochen. Und das ginge dann doch zu weit.»

Schmackhafte Menüs, aber …
Mit Krebs als Küchenchef haben es die Insassen gut getroffen. Die ausgesprochen gute Küche von Krebs, der bis zu seinem Wechsel in den Sennhof vor drei Jahren u.a. im Zivilschutz-Restaurant Meiersboden und im «Kasernenhöfli» kochte, schätzten seine damaligen zahlreichen Stammgäste sehr. Die verschiedenen Geschmäcker in einer Strafanstalt unter einen Hut zu bringen, ist etwas ganz anderes. Das musste auch Hanspeter Krebs erfahren.

Anders als in einem Restaurant gibt es in einer Strafanstalt wie dem Sennhof nie ein Lob. Tadel dagegen schon. «Ein positives Feedback gibt es hier ganz einfach nicht. Es war schwer für mich, mich daran zu gewöhnen. Entweder man hört gar nichts oder es wird geschimpft, was das Zeug hält», erzählt Krebs. «Ich musste deshalb zuerst lernen, mit dieser Form der stillen Zustimmung oder Ablehnung umzugehen». Genau so schwer ist es für ihn aber gewesen, sich an das Gefühl des Eingesperrtseins zu gewöhnen. Krebs bekocht in der Regel täglich rund 50 Insassen. Der Menüplan wird 14 Tage im Voraus erarbeitet. Wert legt der Küchenchef auf Frischprodukte und eine ausgewogene Zusammenstellung. Denn auch Strafgefangene sollen sich gesund ernähren können. Noch essen die Insassen allein in ihren Einzelzellen. Der personelle Aufwand ist entsprechend hoch. «Wir prüfen deshalb gerade, ob wir allenfalls ein gemeinsames Mittagessen einführen können», erzählt Andrea Zinsli.

Kein Job wie jeder andere
Zinsli, der sich guten Neuerungen gegenüber immer aufgeschlossen zeigt, aber nichts desto weniger immer zuerst genaue Vorabklärungen trifft, bevor er Entscheidungen fällt, hatte selbst kaum Mühe, sich an sein Gefängnisbüro zu gewöhnen. «Schliesslich», lacht er, «bin ich vor zwei Jahren bereits mit entsprechenden Führungserfahrungen von der Anstalt Realta nach Chur gekommen.» Es sei vielleicht nicht gerade ein Job wie jeder andere. «Aber er ist interessant und spannend.»

Was Zinsli gleichwohl ärgert wie nachdenklich stimmt, ist indes die Einstellung der Strafgefangenen zur Arbeit. «Die meisten sind nicht motiviert. Kaum jemand will arbeiten.» Dabei sind die Insassen vom Gesetz her zur Arbeit verpflichtet. Dennoch, in den anstaltseigenen Werkstätten, der Schreinerei, der Schlosserei, der Elektrowerkstätte und der Spenglerei herrscht an jenem Tag ein diszipliniertes Arbeiten. Der erste Eindruck mag durchaus täuschen. Oder aber die Insassen haben gerade einen jener seltenen guten Tage, die von den einzelnen Werkstattleitern am meisten geschätzt werden. Ganz generell aber stellt die missmutige Einstellung der Strafgefangenen zur Arbeit die Gefängnisleitung vor eine schwierige Situation. Sie soll deshalb mit entsprechenden Gegenmassnahmen so rasch wie möglich geändert werden.

Aufwändige Kontrollen
«Eine Arbeitsanalyse ist bereits erstellt», erklärt Zinsli zum weiteren Vorgehen. «Daraus resultiert auch, dass wir uns mit den Produkten, die hier hergestellt werden, an die veränderten Marktbedingen anpassen müssen.» Für Zinsli heisst dies aber auch, dass den meist ungelernten Insassen keine allzu anspruchsvollen Arbeiten zugemutet werden können. Denn eine Überforderung führt oft zu schlechter Arbeit, die verständlicherweise wiederum von Kunden nicht akzeptiert wird. Aufwändige Kontrollen verhinderten aber bislang die Auslieferung qualitativ nicht einwandfreier Produkte.

Für ihre Arbeit erhalten die Insassen einen durchschnittlichen Tagesverdienst von 21 Franken. Ein Drittel davon bekommen sie für ihre eigenen Bedürfnisse ausgehändigt. Mittels einem Bestellschein können persönliche Artikel wie Sirup, Saft, Schokolade, Früchte, Seife oder Zigaretten geordert werden. Ein weiteres Drittel wird dem Reservekonto (für die Miete eines Fernsehers, für Briefmarken etc.) gut geschrieben. Wer sich undiszipliniert verhält, wird einerseits mit Disziplinarmassnahmen bestraft und anderseits mit einer Kürzung des Verdienstanteils (Punktesystem) bestraft. Das restliche Drittel geht direkt auf ein Sperrkonto, das der Häftling bei seiner Entlassung als Startkapital erhält.

Sport und Freizeit
Gearbeitet wird täglich von 7.30 bis 11.30 Uhr und von 13.30 bis 17.30 Uhr. Zweimal pro Woche können sich die Strafgefangenen in einer kleinen, fensterlosen Sporthalle und im angrenzenden Fitnessraum sportlich betätigen. Basteln oder Musikhören zählen ebenso zum Freizeitprogramm. In der Bibliothek gibt es Bücher. Ebenfalls bestehen Weiterbildungsmöglichkeiten (Sprach- und Fernkurse).

In der kantonalen Strafanstalt Sennhof hat es Platz für 52 Insassen. Weitere 23 Plätze finden sich in den Abteilungen Halbgefangenschaft an der Wagnergasse in Chur sowie in Silvaplana. Die Frauenabteilung (6 Plätze) ist im Sennhof integriert. Dass Frauen viel weniger oft straffällig werden als Männer belegt der prozentual tiefe Anteil von rund 8 Prozent, gemessen am gesamten Anteil aller Insassen.

Eine lange Deliktsliste
Im Sennhof verbüssen Insassen aus rund 45 Nationen ihre Strafen wegen den verschiedensten Delikten. Auf der langen Liste finden sich sowohl Diebstahl, Sachbeschädigung, Verstösse gegen das Betäubungsmittelgesetz, vorsätzliche Tötung, Mord, Körperverletzung wie auch Raub oder Veruntreuung. Die Strafgefangenen befinden sich mehrheitlich im Strafvollzug. Da die Strafanstalt Sennhof mit dem Ostschweizer Strafvollzugskonkordat zusammenarbeitet, werden die Insassen gemäss den in den einzelnen Strafanstalten vorhandenen Plätzen platziert. «Deshalb stammt momentan der grösste Teil der im Sennhof Inhaftierten aus dem Kanton Zürich», erklärt Andrea Zinsli.

Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer im Sennhof beträgt in etwa rund ein Jahr. Einen Aufenthalt über drei Jahre lassen die engen Räumlichkeiten erst gar nicht zu. Zinsli: «Dies würde zu noch mehr Konflikten führen.»

Noch ist die Besetzung in der Anstalt gut. Erwartet werden indes schon heute rückläufige Zahlen. «Die gesamtschweizerisch vorgenommenen Ausschaffungen zeitigen langsam Wirkung.» Im Gegenzug stellt Zinsli aber fest, dass immer mehr Russen in der Schweiz straffällig werden und die Gefängnisse bevölkern.

Anspruchsvolle Betreuung
Betreut werden die Strafgefangenen und Untersuchungshäftlinge von 24 Vollzeit-MitarbeiterInnen und neun TeilzeitmitarbeiterInnen (inkl. Administration). Da die Insassen-Situation ausgesprochen hohe Anforderungen an die Mitarbeiter stellt, brauchen sie eine entsprechend gute Ausbildung. Die Ausbildung erfolgt am Schweizerischen Ausbildungszentrum für das Strafvollzugspersonal. Dazu kommen regelmässige Fachtagungen und Weiterbildungskurse. Nicht immer aber hilft dies, die Burnout-Syndrome vor allem älterer Mitarbeiter zu bekämpfen.

Externe Ärzte und Zahnärzte stellen die medizinische, zwei Seelsorger die seelsorgerische Betreuung sicher. Ebenfalls stehen rund um die Uhr Ärzte der Psychiatrischen Klinik Waldhaus zur Verfügung. Im Übrigen betreuen MitarbeiterInnen des Sozialdienstes, der Aids-Hilfe Graubünden und der Drogenberatung die Insassinnen und Insassen während und nach der Haftzeit.

«Nebst Untersuchungsgefangenen werden bei uns praktisch nur noch rückfällige und flucht- oder gemeingefährliche Insassen eingewiesen», sagt Zinsli. «Dadurch beschränkt sich der Arbeitseinsatz der Gefangenen auf die internen Möglichkeiten. Um nun einige der Probleme zu entschärfen, plädiert Gefängnisdirektor Andrea Zinsli deshalb einerseits für den Ausbau des Sozialdienstes und anderseits für eine Erweiterung des Freizeit- und Sportangebotes in der Strafanstalt.

Karin Huber