Es gehört zum Ritual, dass im Monat Dezember Jahresrückblicke zuhauf publiziert werden. Für die verantwortlichen Redaktoren wird das nicht einfach sein, denn der Blick zurück ins Jahr 2001 bietet kaum Anlass zu freudiger Erregung. Zwar sind schlechte Nachrichten für die Medien noch allemal etwas Gutes gewesen, aber zuviel des Guten ist bekanntlich nicht gesund. So weiss man heute beim Jahresrückblick nicht einmal sicher, was man dem Guten und was dem Schlechten zuordnen soll. Der amerikanische Präsident hat es da einfacher, er macht das quasi von Amtes wegen. Aber wir Demokraten? Wir tappen einmal mehr im Dunkeln.

 

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Stefan Bühler


Schon gegroundet?

Zum Beispiel bei der neusten Wortschöpfung "Grounding". Ein Wort, das vor dem Oktober kein Mensch gekannt hat. "Grounding", ist das nun das Wort oder Unwort des Jahres? Als Wort des Jahres mag es für jene gelten, die damit endlich das ausdrücken können, was ihnen schon lange auf der Zunge liegt. In der Umgebung der Swissair hätte wohl niemand das Wort Grounding vermutet, bis es dann plötzlich in einem Atemzug genannt wurde. Eigentlich liegt der Name für die Swissair-Nachfolgegesellschaft auf der Hand. Mit "Grounding-Air" könnte man die Zukunft vorwegnehmen und damit erst noch eine alte Pilotenweisheit unterstreichen: Runter kommen sie immer. Dass der UBS-Chef mit einem einzigen Fernsehauftritt sein eigenes Grounding nicht weit nebem dem Ground Zero inszenierte, hat er selbst zu verantworten. Wir haben ja weitere Groundings erlebt, die uns schon eher zur Überzeugung bringen, dass es sich hierbei um das Unwort des Jahres handeln muss.
Das Grounding etwa von Peter Aliesch. Natürlich nicht deshalb, weil er sich in Grund und Boden schämt. Er groundete einfach auf den harten Boden der Realität. Dabei ist es in freisinnigen
Kreisen bereits eine Option, das mit dem Grounding. Jedenfalls hat Vreny Spoerry ein "politisches Grounding" nicht mehr ausgeschlossen und damit ihren eigenen Rücktritt gemeint. Nachdem inzwischen das WEF, die Olympischen Spiele in Graubünden und die freie Fahrt über die San-Bernardino-Route ihre Groundings hinter sich haben, braucht es nicht noch mehr Beweise zur Wahl des Unwortes. Eheberater sprechen schon vom Grounding der Beziehungen, und empfehlen Erdungsübungen, körperbezogene Therapieverfahren aus der Psychotherapie und Psychosomatik. Das soll der Entspannung, Stressbewältigung und Vertrauensbildung dienen und nennt sich Grounding-Konzept. Da fehlt nur noch American-Football: Wenn der Quarterback ziellos nach vorne wirft, spricht man von "Intentional Grounding". Dieses Vergehen wird mit einer Raumstrafe und dem Verlust eines Versuchs bestraft. In diesem Fall ist der
Verlust an Realitätssinn nicht Voraussetzung. Dass die Kulturpolitik in Stadt und Kanton ihr Grounding straffrei vor sich hat, darauf ist man vorbereitet. Wenn aber in diesem Monat im Zusammenhang mit der Weihnachtsgeschichte auch noch jemand vom Grounding in Bethlehem spricht, ist es endgültig Zeit, das Jahr abzuschliessen. Ein Jahr, das man am besten grounden lässt.

Stefan Bühler