Fasnacht

Chur: Narren-Hochburg für fünf Tage

Schparzorden-Verleihung, Fasnachtsumzug, Monsterkonzert, Kostümbälle, Kinderfasnacht, Gässeln, Tanzen, Schunkeln, Schnitzelbänke, Freinächte, Abräum-Umzügli - das sind die offiziellen Höhepunkte der Churer Fasnacht 2002. Dazwischen sorgt jede Närrin und jeder Narr für ganz persönliche Highlights. Gelegenheiten dazu gibt es zuhauf.

Chur wird vom 8. bis 13. Februar kopf stehen traditionsgemäss seit dem Mittelalter, in den vielen Jahren allerdings verschieden hohe Wellen werfend. Unbestritten ist, dass die Churer Fasnacht durch den Enthusiasmus jener Churerinnen und
Churer, die 1975 die "Margritt-li-Kligga" gründeten, an Schwung gewonnen hat. Seither zeigt die Kurve aufwärts und es gab im närrischen Chur kein Grounding mehr. Im Gegenteil: Jahr für Jahr wurde das Konfettigestöber dichter, der samstägliche Umzug länger (und das Arosa-Bähnli lästiger), die Gassen verstopfter, die Schnitzelbänke treffender und träfer und die Churer Beizer zufriedener.
Dass 1639 an der Churer Fasnacht der Freiheitskämpfer Jörg Jenatsch von Maskierten seines Lebens beraubt wurde, ist in der ältesten Stadt der Schweiz wohl bekannt. Er war schliesslich der Retter Rätiens und ohne ihn würden wir wahrscheinlich heute an den fünf Tagen vor Aschermittwoch von Fasching reden, mit komischen Papiermützen auf dem Kopf einander "Alaaf" zurufen und das Mineral, das Bier und den Wein mit Euros bezahlen. Auf Letzteres sollten sich die Wirtsleute von Chur einstellen, denn jährlich pilgern Dutzende von Närrinnen und Narren aus dem benachbarten Ausland nach Chur, um an der schönsten Fasnacht im Alpenraum dabei zu sein.

2. Ordensträgerin in der "Schparz"-Geschichte

Lanciert wird die diesjährige Fasnacht am Samstag, 2. Februar mit dem Kostümmaskenball im Saal des Gast- und Kulturhauses "Marsoel". Eine Freinacht lang, in der die schönsten Masken prämiert werden, holt man sich den Schwung für den eigentlichen Fasnachtsauftakt am darauf folgenden Freitag. Traditionsgemäss kürt die "Schparz-Bagaschi" das von den bisherigen Ordensträgerinnen und -trägern auserwählte "Opfer". Bedingungen für die Aufnahme in den erlauchten Kreis sind: Die Person muss in und für Chur Ausserordentliches geleistet haben, bekannt und natürlich auch mit Witz und Humor ausgerüstet sein. Heuer wird der Orden Ida Laube angehängt, der zweiten Frau im Reigen. Das Prozedere, mit Tränen treibenden Sketches, musikalischen Einlagen und der Laudatio als Höhepunkt, ist öffentlich und beginnt punkt 20.00 Uhr im Hotel Drei Könige. Dabei fällt es allen wie Schuppen von den Augen, weshalb heuer das begehrte Blech Ida Laube an die Brust geheftet wird.

Plakette "obligatorisch"

Bereits in der Nacht auf Samstag wogen die ersten Horden von FasnächtlerInnen durch die Stadt, durch Restaurants und Säle, derweil manche Kligga ihren Umzugswagen den letzten Schliff verleihen. Denn spätestens am Samstag, 9. Februar, um 14.00 Uhr müssen die Gefährte bereit stehen, für den ersten Höhepunkt der Fasnacht 2002: Dem rund drei Stunden dauernden Umzug, der sich in der Kasernenstrasse formiert und an der oberen Poststrasse auflöst. Wie seit Jahren werden auch diesmal Tausende von Zaungästen diesem alles klar stellenden "Jahresrückblick" beiwohnen. Und dieser hat auch seinen Preis. Die Kosten für die Bereitstellung der Route (Absperrungen, Signalisationen etc.) und die anschliessende Säuberung werden mit dem Eintritt in Form der Fasnachtsplakette (gestaltet vom Churer Künstler Dea Murk) bezahlt. Aus dem Verkaufserlös erhalten die verschiedenen Kliggen und Guggen einen eher symbolischen Beitrag an die Unkosten und die wochen- und teilweise monatelangen Bauarbeiten für ihre Sujets. So hoffen natürlich die Organisatoren und Protagonisten des Umzuges, dass an jedem Tschopen, an jeder Jacke und an jedem Pelzmantel dieses "Eintritts-
ticket" hängt, was eigentlich Ehrensache ist und mit gutem Gewissen das Spektakel geniessen lässt. Mit der Plakette wird auch das Fasnachtsprogrammheft abgegeben, in dem die wichtigsten Eckpfeiler in Sachen Veranstaltungen (Kinderfasnacht, Bälle etc.) aufgeführt sind.
Im Anschluss an den Umzug legen die Guggen am Monsterkonzert auf dem Arcas los und geben damit das Zeichen für das schräg-schöne nachtlange Gassentreiben. Erholung und Kraft bieten die Churer Beizer, auf dass keine Maske vor dem Morgengrauen des Sonntags schlapp macht. Wer die Churer Altstadt in dieser Nacht noch nie erlebt hat, muss das in diesem Jahr
ultimativ nachholen: Schränzende Guggen, südamerikanische Steel Bands, Trommler und Pfeifer ziehen durch die Gassen, lassen die Rathaushalle, den Ochsenplatz oder den Martinsplatz erbeben und den Verkehr auf dem Postplatz zum Erliegen kommen. Scharen von Maskierten jeden Alters tanzen zu den fetzigen Tönen. Drängen in die Beizen und Säle, wo Hitze, Fröhlichkeit und fasnächtlicher Lärm die Karneval-Stimmung zusätzlich anheizen.

Entlarvender Montag

Während sich die NachtschwärmerInnen bis weit in den Tag hinein von den Strapazen erholen, rüsten sich die jüngsten FasnächtlerInnen für ihre Events. Von 14.00 bis 18.00 Uhr ist Kinderkostümball mit Maskenprämierung im Marsöl, und das
Hotel Drei Könige ladet von 15.00 bis 17.00 Uhr zur überraschungsgeladenen Kinder-Fasnacht in den grossen Saal.
Nach einer relativ ruhigen Nacht steigt die Spannung am Montagabend ins fast Unerträgliche. 1989 wurde durch Philipp Schällibaum vom Hotel Drei Könige die Idee eines Schnitzelbankabends in die Tat umgesetzt. Lediglich 80 Personen fanden sich damals im Saal ein und alle anderen Churerinnen und Churer bereuten ihre Abwesenheit. Im Jahr danach war der Saal fast, an der dritten Auflage schon pumpenvoll. Heuer, am 13. Churer Schnitzelbankabend, vermögen die sieben Lokale die Nachfrage nach Plätzen kaum zu decken. Ab 19.00 Uhr legen die zwölf Schnitzelbankgruppen nach einem festgelegten Auftrittsplan in den Restaurants Capellerhof, Controversa, Drei Könige, Gansplatz, Marsoel, Merz und Rheinkrone los und sorgen in den Lokalen für rund vierstündige Lachsalven.

Die Churer SchnitzelbänklerInnen

12 Schnitzelbankformationen werden die Lachmuskeln strapazieren und da und dort für rote Köpfe sorgen. Nachfolgend Kurzportraits einiger Formationen.
Die "Brambrüeler" haben sich laut eigenen Aussagen 1995 bei einer Töpferparty gefunden. Der Name komme daher, weil die Brambrüeschbahn auch so marode sei, wie die Mitglieder Andi, Hansjörg, Marc und Stefan. Alle sind für die Texte verantwortlich, wobei sie sexistische Sprüche grundsätzlich vermeiden: "Pfui, das gehört nicht an die Fasnacht!"
In der gemischten Sauna haben sich die "Funistinker" getroffen und sorgen seit 1989 für Lachkrämpfe bei den ZuhörerInnen. Nach dem Motto: "Miar machen kei fun, nömen aber jederzit a Funi", ist der Name entstanden. Dafür stehen ein: Fredy (Oberwünschelrutengänger und Chefzählerleser IBC), Damian (Musiker), Jürg (letzter Beamter im Kanton), Jürgli (arbeitet beim Kreis), Sebi (Gartenhag und Landstreicher), Andy I (Sänger), Andy II (zum achtzehnten Mal in die gleiche Klasse), Reto (Gärtner und Oppositionsführer). Als ihre Spezialität bezeichnen sie das unheimliche Stehvermögen.
Zu den jüngeren Gruppen mit älteren Herren gehören "Les miserables", die sich 1997 nach 30 Jahren gemeinsamer Fussballzeit beim FC Chur (heute Chur 97) endlich gefunden haben. Texten tun alle drei: Fritz Imholz (Kaufmann und passionierter Pilzler), Thomas Casanova (Jurist und zerrungsanfälliger Gelegenheitsläufer) und Reto Thöny (Lehrer und Bearbeiter der Heimwehbratpfanne = Gitarre. Ihre Spezialität: Fritz Imholz mit Schlaghölzern aus einem Naturholzbesen (Prättigau, frühes 19. Jahrhundert).
1980 beschloss die Masanser Fischergruppe am Fasnachtsumzug mitzumachen und daraus entstand gleichzeitig die Schnitzelbankgruppe Nepomuk. Die Horde setzt sich zusammen aus Esther Brunner, Aufpasserin; Florian Felix, Klopfer; Salvatore la Torre, Sänger; Othmar Hardegger, Sänger; Karlheinz Jäger, Sänger; Bruno Jäger, Musiker; Marco Hitz, Sänger; Reto Möhr, Sänger und Roger Schmid, Sänger. Für die Texte, die in unzähligen Sitzungen und Zusammenkünften gebrünzelt werden, zeichnen alle verantwortlich, wobei nach eigenen Aussagen, Weisswein in beträchtlichen Mengen hinhalten müsse.
Seit 1994 jeweils am Fasnachtsmontag im Duett unterwegs sind die beiden "Schurnis" Charly Bieler und Walter Schmid als "Nögg vum Obertor". Der Name entstand an einem fröhlich-geselligen Weekend in den Rheinauen, als der Dylan-Hitt "Knock, knock, knocking on heavens door" kurzerhand in "Der Nogg, Nogg, Nogg stoht am Obertor" umgetauft wurde. Was daraus entstanden ist, wissen seither die BesucherInnen der Schnitzelbankabende.
Aus einem Plauschhockeyclub heraus, der überwiegend aus angefressenen Fasnächtlern bestand, formierte sich 1978 die "Pizokel Kligga". Die scharfen Kufen gegen Sprüche hart an der Gürtellinie ausgetauscht haben Enrico Membrini (Schloss und Glasermeister), Timo Membrini (Zahlabigner), Toni Membrini (Obere Au Fän), Jürg Denoth (Pilot), Severin Jäger (Autopinsler), Gregor Honegger (Badmeister), Hubi Pazeller (Güggischlosser). Die Vorherrschaft der Membrinis spiegelt sich auch darin, dass sich diese drei beim Texten nicht dreinreden lassen.
Als eigentlicher Fasnachts-Chor müssen die "Sprützcantares" bezeichnet werden. 1976 aus der Margrittli-Kligga entstanden, möglicherweise wegen Stimmbrüchen vorübergehend ausser Gefecht, hat sich die Gruppe 1988 aus Mitgliedern der Churer-Chor-Szene neu formiert. Dabei sind heute Käthy Zendrali als Gärtnerin, Bruno Tscholl als Gemüsegärtner, Beat Ravaioli als Zeilengärtner, Andrea Jehli als Schülergärtner, Günther Brandt als Grossgärtner und Walter Bisculm als Schülergärtner. Getextet wird gemeinsam imm er mit dem Leitmotiv vor Augen: "Lieber im Nassen spritzen als im Trocknen sitzen!"
Schon manche Lenzen auf dem Buckel haben die unverwüstlichen "Wasserratta", die 1968 von damaligen Schwimmclub-Senioren gezeugt wurden. Schnitzelbanksongs und Unterhaltungsfludi bieten Reto Bary, Allerweltskerl, Uolf Bardy, RhB-Krampfer, Max Comminot, Mazdist, Johann Graf, Vermögensvernichter, Ernst Luginbühl, Rentner-Aspirant, Flurin Lutz, verhinderter Profimusiker, Paul Manzanell, Meerschiffer, Roland Morgenthaler, Glaser, und Andrea Zinsli, Sennhof-Boss. Die finanzstarke Truppe ist die einzige, die sich in der Person des hochkarätigen Dichters und Malers Heini Nutt einen externen Texter leisten kann.

Konkurrenz zum grossen Umzug

Die standhaften FasnächtlerInnen heben am Dienstagabend nochmals richtig ab. "Letzte Fas-Nacht" heisst es zum Beispiel im Marsoel. Doch nicht nur im grossen Saal, auch in den Gassen und Beizen am Fusse des Hofhügels wird die ultimative Gelegenheit geboten, nochmals so richtig auf die Pauke zu hauen. Wer diese Nacht verpasst, muss wieder ein Jahr warten. Es sei denn, man gehöre zu den Hardcore-Fasnächtlerinnen und -Fasnächtlern. Diese treffen sich im Morgengrauen des Aschermittwochs um 7.30 Uhr in der Storchengasse beim oder im "Edelweiss". Von dort ziehen sie mit den letzten noch zu mobilisierenden Kräften im Takt der furchtbar schräg tönenden Guggenmusiken durch die erwachende Stadt. Vor Jahren waren es rund 20, letztes Jahr zehnmal so viele und heuer will man mit dem "Abräum-Umzug" eine ernst zu nehmende Gegendemo zum grossen samstäglichen Umzug lancieren. n