Was taten die ersten Amerikaner, als sie auf dem Mond landeten? Sie hissten ihr Sternenbanner. Was machen die Franzosen, die sich am 14. Juli auf der Champs Elysée versammeln? Sie schauen zu, wie Flugzeuge die Tricolore in den Himmel malen. Was die Koreaner, wenn sie an der Fussball-WM von Runde zu Runde besser werden? Sie tauchen die Hauptstadt in ein rotes Fahnenmeer.
Was tun die Schweizer, wenn sie ihren Nationalfeiertag begehen? Nichts. Der Ausdruck höchster patriotischer Gefühle reduziert sich auf das Anzünden von taiwanesischen Weiberfürzen, vornehmlich dort, wo viele auf den Fackelumzug von Godot warten. Die Schweizer Fahne hissen und Nationalstolz zeigen?

 

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Stefan Bühler


Flagge zeigen

Da müsste man ja Flagge zeigen. Und das ist gerade out. Verständlich, nach Skyguide, Swissair, Borer, Börse und Buh-Managern schämt man sich halt ein wenig. Da haben wir nur noch darauf gewartet, dass die Schweizer Fahne wie an der Expo.02 ganz verboten wird.
Nun hat die SVP wenigstens den Sprung von der politischen Plattitüde zum höheren Blödsinn geschafft: sie offeriert dem bundesrätlichen Referenten einen Notfallkoffer für die Ansprache zum Nationalfeiertag. Inhalt: eine Schweizerfahne. Mit Flaggen weiss die Partei der Alphornschwinger und Fahnenbläser jedenfalls umzugehen: im März reichte einer ihrer Parlamentarier eine Motion ein mit dem Ziel, eine neue Regelung für die Beflaggung des Bundeshauses zu erwirken. Während den Sessionen der eidgenössischen Räte soll das Parlamentsgebäude vom ersten bis zum letzten Sessionstag mit einer Schweizerfahne auf den zwei südlichen Kuppeln, einer Schweizerfahne auf dem Nordbalkon über dem Haupteingang und allen Kantonsfahnen auf dem Nordbalkon des Parlamentsgebäudes beflaggt werden. Von den Fahnen, die jeweils aus der Bellevue-Bar getragen werden, ist im Vorstoss nicht die Rede. Die Legislative erhält dank diesem Vorstoss Gelegenheit, grundlegende Kenntnisse über Sinn und Zweck einer Fahne zu erarbeiten.
Gewiss, in Chur haben wir eigentlich ein ungestörtes Verhältnis zur Fahne. Unsere Reportage in diesem Heft zeigt, dass hier eine Firma sogar Fahnen herstellt. Und wehen tun sie auch, behördlich verordnet am Grauen Haus und am Rathaus.
Manche mögen sich noch daran erinnern, dass ein grosser Teil der 3000 Schweizer Gemeindefähnchen in der Oberen Gasse wehten, bis die letzte Faser vergilbt war. Und sogar ein Festspiel gab es einst, zum eidgenössischen Schützenfest 1985 in Chur nämlich, als auf der Quader "Napoleon oder das Fähnlein der sieben Aufrechten" aufgeführt wurde. In Anlehnung an die Novelle von Gottfried Keller, die das Schützenfest von 1849 in Aarau zum Thema hat, das zum nationalen Versöhnungsfest wurde. Die Fahne durfte da noch im Mittelpunkt stehen. Bei Keller heisst es dann: "Denn plötzlich stellte sich die Wahrheit heraus, dass zu einer Fahne ein Sprecher gehöre, wenn man mit derselben aufziehen wolle." Was tun, wenn man keinen Sprecher hat? Auch egal, was wir am Nationalfeiertag brauchen ist etwas mehr Stolz und Selbstbewusstsein. Und die Fahne als Symbol für
die Versöhnung. Sieh nach bei Gottfried Keller.

Stefan Bühler