Freilichtspiel

Ein Engel landet auf der Kunsteisbahn

Erstmals dient die alt ehrwürdige Churer Kunsteisbahn als Arena für ein unterhaltsames Freilichtspiel. Rund 40 Mitwirkende aus der Region bringen unter der Regie von Theater Grischun-Regisseur Marco Gieriet vom 7. bis 23. August Dürrenmatts Engel auf die Bühne an der Calandastrasse.

Text: Tibert Keller

Irgendwie sind wir stolz auf "unseren" Dürrenmatt. Seine Werke sind über die Landesgrenzen hinaus bekannt und anerkannt. Egal, wie nun seine in den Handlungen platzierten Botschaften ankommen, das mit viel Situationskomik gespickte Theaterstück ist ein optischer und akustischer Genuss.
Auch wenn dieses 1953 in München uraufgeführte Stück in längst vergangener Zeit, weit weg am Euphrat spielt, irgendwie kommen uns die Akteure sehr bekannt vor. Sie erinnern an aktuelle Begebenheiten und eigene Erfahrungen mit irgendwelchen Machtträgern oder Autoritäten. Aber auch sie haben alle ihre menschlichen Schwächen, die sie krampfhaft zu kaschieren suchen, indem sie gehorsame Beamte, Polizisten und dergleichen um sich scharen. Sie erlassen unsinnige Vorschriften und setzen sie mit allen Mitteln durch. Dadurch wirken sie wohl noch lächerlicher aber sie halten mit dem Verwaltungs- und Exekutivapparat Kritiker und Ungehorsame in Griff.

Ein Engel von Gottes Gnaden
In diesem Stück lässt König Nebukadnezar als Zeichen dafür, dass das Land bestens regiert ist und es den Bürgern dabei auch gut geht, die Bettlerei verbieten. Allen Bettler wurden Stellen im Staatsdienst zugeteilt. Doch nur einer lässt sich nicht umerziehen: Akki, er bleibt beharrlich Bettler.
So sendet Gott als Zeichen seiner Gnade einen Engel aus, der das reine und unschuldige Mädchen Kurrubi auf die Erde bringt. Sie soll dem niedrigsten der Erdbewohner beistehen. Und schon läuft was schief. Kurrubi hängt sich irrtümlicherweise an König Nebukadnezar, der sich ebenfalls als Bettler verkleidet hat, um den unbeugsamen Akki zu überlisten. Doch Akki erweist sich als schlauer Fuchs, der mit den Schwächen seiner Widersacher trickreich umzugehen weiss. Auch die Polizei vermag, trotz Folteranwendungen, nichts auszurichten. Weil sich plötzlich alle in das himmlische Mädchen Kurrubi, das inzwischen bei Akki lebt, zu verlieben beginnen, erschallt der Ruf nach dem unbestechlichen Henker, der mit dem Bettler endlich kurzen Prozess machen soll …

Die Zitate und Gedanken
Mit dem Entstehen dieses Stücks erlebte Dürrenmatt wahre Gefühlsausbrüche: "Zuerst schmiss ich das Büchergestell um, mein anderthalbjähriger Sohn schrie …" Kurz darauf landeten hunderte Blätter des Manuskripts im Ofen, wo sie vom Feuer vernichtet wurden. Seine Frau sagte ganz ruhig, schreib etwas anderes. "Ich war erlöst."
Statt dem "Turmbaus" entstand basierend auf die selben Gedanken "Ein Engel kommt nach Babylon". In der Einführungsrede zur Geschichte schrieb Dürrenmatt unter anderem:
"Mit dem Bettler Akki ist der reiche, phantasievolle, begnadete Mensch gemeint, den es immer wieder gibt, mit Nebukadnezar der arme Mensch, den es immer wieder gibt … es ist vor allem die Geschichte vom reichen Bettler und vom armen König, die Geschichte von einer Verwechslung, die dem Engel passiert … und so steht dem ständig begeisterteren Engel das Mädchen gegenüber, das er auf die Erde brachte. Dies einige Hinweise auf meine Komödie …" Ausserdem finden sich von Dürrenmatt folgende Gedanken dazu: "Das Betteln ist ein Protest gegen den Überfluss, von dem der Bettler die Reichen befreit." - "Dem gnadenlosen Menschen steht ja stets auch der begnadete gegenüber." - "Die Mächtigen sind mächtig: es ist niederträchtig, diese Wahrheit zu missachten, nach Narrheiten zu trachten, die Mächtigen zu besiegen, ohne über Waffen zu verfügen, denen sie unterliegen." Und seine Schlussfolgerung für ein langes Leben: "Stelle dich dumm, nur so wirst du alt."

KEB ins Bühnenbild eingebaut
Diese Aufführung als Freilichtspiel ist nach dem bewährten Muster aufgebaut, wie 1998 "Katharina Knie" am Canovasee, im Jahr 2000 mit "Scapins Streiche" im Palazzogarten in Sils und letztes Jahr der "Verschwender" im Schlosspark Reichenau. Das ganze Areal ist in das Bühnenbild eingebunden. Die Zuschauer sitzen mitten im Geschehen. Musik und Tanz unterstützen die Szenerie und lockern gleichzeitig auf. In den vielen grossen und kleineren Rollen finden sich Vollprofis mit Rang und Namen, bestandene Volkschauspieler und -spielerinnen verschiedener Bühnen der näheren Umgebung, aber auch neue Talente und Gesichter aller Altersgruppen.
Wenn er auch bei den Aufführungen verborgen bleibt, er ist der Kopf des Unternehmens. Seit über 40 Jahren widmet er sich dem Theater. An unzähligen Stücken hat er mitgewirkt, gestaltet und inszeniert. Hat sich um das Amateurtheater verdient gemacht. Die Rede ist von Marco Gieriet. Er gründete den Theaterverein Domat/Ems, wo seine Freilicht-Passionsspiele unvergessen bleiben. Seit 1985 ist er das Zugpferd des Churer Theaters Grischun, wo er ehrgeizige Projekte trotz widrigen Umständen zielbewusst und mit beachtlichem Erfolg umsetzt. Jüngstes Beispiel ist Ibsen's anspruchsvolles, ausschliesslich von Laien gespieltes Familiendrama "Gespenster", das trotz des ernsten Themas bei Besuchern und Medien grosse Anerkennung fand. Sein Anspruch ist es, Talente zu fordern und zu fördern. Seine gestalterischen Fähigkeiten setzt der gelernte Buchdrucker und pensionierte Gewerbeschullehrer im Bühnenbild um.

Bewundernswertes Engagement
Wie grundsätzlich bei allen grösseren Darbietungen steckt auch bei diesem Freilichtspiel eine Riesenarbeit dahinter, die mehrheitlich von den Mitwirkenden geleistet wird. Weil ausser der Unterstützung durch Stadt und Kanton praktisch keine Zuschüsse flossen und die Eintrittsgelder die Aufwendungen bei weitem nicht decken können, werden insbesondere die nicht professionellen Mitwirkenden leer ausgehen. Ihr Engagement ist bewundernswert, ohne Aussicht auf Entschädigung wenden sie viel Zeit für Proben, aber auch beim Auf- und Abbau, sowie für unzählige weitere Aufgaben auf.
In allen steckt der Wunsch, mit ihrer Leistung und Präsenz vor und hinter den Kulissen den Gästen einen unterhaltsamen und gefreuten Abend zu bieten.