Sieben Churer im Schafglück vereint

Die Idylle scheint perfekt. Auf einer grossen, eingezäunten Wiese, ein Stück oberhalb des Zivilschutzzentrums Meiersboden, suchen sich 18 Schafe wählerisch die saftigsten Kräuter. Umsorgt werden die Schafe von sieben "angefressenen" Hobby-Schafhaltern aus Chur, den Mitgliedern der "Union des Moutons".

Text: Karin Huber

Fritz Knuchel und Piero Previtali von der "Union des Moutons" laufen rufend über die Wiese bis zum Gatter und versuchen, die weit unten weidenden Schafe heranzulocken. Die spitzen offenbar auch die Ohren, lassen sich aber nicht davon abhalten, ihre Mäuler weiterhin ins Grün zu stecken. Doch mit der demonstrierten Gelassenheit ist es schnell vorbei, als das verlockende Geräusch des mitgebrachten Brot-Sacks ertönt. Alles stürmt los. Der schön gezeichnete Bock führt unter lautem Gebimmel seinen Harem im Eilschritt bergauf. Sie drängen sich nah ans Gatter; manche sind frech genug und probieren gleich, darüber zu steigen, um dem Brot-Sack näher zu sein.

Ein Festessen
Schafbock samt den zutraulichen Schafen und Lämmlein drängen sich dicht an dicht. Jedes versucht, eine harte Brotkante zu erwischen. Die Mäuler sind gespitzt, als wollten sie zum Chorgesang anstimmen. Ein Festschmaus, den es so nicht jeden Tag gibt. Auf der anderen Seite des Zaunes verziehen sich die Münder von Fritz Knuchel und Piero Previtali zu einem wissenden Lächeln. "Sie lieben das Brot", schmunzelt Fritz Knuchel, "aber all' zu viel davon tut ihnen gar nicht gut."
Der drahtige Schafbock wirkt harmlos. "Das ist er auch, vorsichtig muss man trotzdem sein. Kraule einen Bock ja nie an der Stirne, sonst wird er aggressiv", warnen die Hobbyschäfer, die sich bei ihren Schafen sichtlich wohl fühlen. Ihre Gesichter strahlen.
Beide erinnern sich aber noch gut an den Vorgänger des jetzigen Bockes, den leider ein unrühmliches Schicksal ereilte, weil er sich an einige sogar unter Böcken übliche Regeln nicht halten wollte. So stellte dieser zu seinen Lebzeiten ganz machohaft seine Angriffigkeit zur Schau und nahm sogar den einen oder anderen der "Moutons"-Clubmitglieder öfter unsanft auf die Hörner. Deshalb endete der Bock alsbald gut verpackt in Wursthäuten und erlebte so seine glanzvolle Auferstehung. Dagegen scheint sein hübscher Nachfolger geradezu ein Musterexemplar an Friedfertigkeit zu sein. Sogar eine Streicheleinheit hat er ziemlich ungerührt über sich ergehen lassen.
Kaum ist die Brotration verschlungen, drängen sich die jungen Lämmchen an ihre Mütter. Langsam treten die camelfarbigen "Wollknäuel" den Rückzug an und suchen sich erneut ihre grünen Gräser. Immer wieder aber blinzeln sie in Richtung ihrer in Fachsimpeleien vertieften Schäfer, welche die Resten des Festessens umklammert halten.

Auf Stör
Die Wiesen, die der "Union des Moutons" von den Passugger Heilquellen zur Verfügung gestellt werden, sind gross genug, um die insgesamt 18 Schafe durchzufüttern. Allerdings gab es Zeiten, in denen die Schafherde bis zu 45 Tiere umfasste. Da so viele Schafe auf den Passugger Wiesen nicht satt geworden sind, sah man sie öfter auch auf den Wiesen von Brambrüesch oder auf jenen von Churer Hausbesitzern, wo sie als willkommene "Rasenmäher" eingesetzt worden waren. Dort durften sie dann ganz ungestraft unter fremden Zäunen hindurch fressen.
"Wir haben", lacht Fritz Knuchel, "die Schafe tatsächlich schon durch die halbe Stadt getrieben." Ein Aufwand, der sich für den Schafclub allerdings nicht lohnte, denn die Grundstücke mussten vor dem ersten Weidgang jeweils umzäunt werden. Diese zeitaufwändige Arbeit können sich die Churer Schäfer nun wenigstens ersparen.

Mit fünf Schafen fing alles an
Seit der Gründung der Union des Moutons (UDM) vor 20 Jahren auf dem Churer Hausberg Brambrüesch haben die Clubmitglieder nicht nur viel Spass mit ihren Schafen erlebt, sondern auch viel über die Schafzucht gelernt. Auf das Schaf gekommen sind sie aus fast schon alltäglichen Gründen: Viele Wiesen auf Brambrüesch wurden von den Bauern nicht mehr bewirtschaftet. Deshalb hatten sich einige Ferienhausbesitzer zusammengetan und den Boden gemeinsam gepflegt. Es dauerte nicht lange bis die ersten fünf Schafe die Wiesen nach ihren bevorzugten Kräutlein absuchten. Zu den Gründungsmitgliedern der UDM zählten Steffi Mathys, Hitch Jäger, Paul Strohmeyer, Remo Deplazes, Röbi Gmelin und Fritz Knuchel.
Der ebenfalls auf dem Wiesengrundstück hinter dem Zivilschutzzentrum Meiersboden liegende Stall diente bereits den ersten fünf Schafen als Unterkunft. In ihrer Freizeit haben die "Moutons" den Stall modernisiert und zu einem Freilaufstall umfunktioniert.

Vitaminspritzen für die Lämmer …
Für die Wintermonate liegen bereits seit dem Sommer unzählige Heuballen für die 18 Schafe bereit. An die 5000 kg vertilgen sie zusammen im Laufe des Winters. Die Schafe werden täglich ein- bis zweimal von den Clubmitgliedern abwechselnd nach genauem Wochenplan umsorgt. Allerdings stehen beileibe nicht allein Fütterungen auf dem Arbeitsplan. Die Schafe werden beobachtet und zweimal jährlich professionell geschert (Woll-Abnehmer werden dringend gesucht). Ihre Klauen sind zu schneiden, und ab und zu müssen sie sogar gebadet werden. Gegen Lungenwürmer verabreichen die Schafhalter Wurmpillen. Neuem Leben helfen die Hobby-Schäfer ebenfalls auf die Welt. Zur Stärkung der Widerstandskraft erhalten die neu geborenen Lämmer zusätzlich zur Muttermilch noch Vitaminspritzen.

… Würste für Hobby-Schäfer
Kraftfutter oder Ähnliches verfüttern die UDM bewusst nicht. "Deshalb schmecken wohl auch unsere Schafwürste unvergleichlich gut", erzählen Knuchel und Previtali grinsend. Ein einziges Schaf liefert als Fleischlieferant bis zu 600 sogenannte "Tamborelli"-Würste. "Tamborelli"-Würste deshalb, weil hin und wieder ein Schaf in Splügen, nahe der Alp Tambò also, verwurstet wird.
"Die Fleischproduktion nimmt bei uns allerdings keinen grossen Stellenwert ein. Was in erster Linie zählt ist die Kameradschaft und die Freude an unseren Schafen", rückt Fritz Knuchel das Bild zurecht. In der Tat: Wird ein Schaf verkauft, verdient die UDM, stellt man den riesigen Arbeits- und sonstigen Aufwand gegenüber, nichts. "Wenn wir alles rechnen würden, könnten wir das Fleisch höchstens noch grammweise in der Apotheke kaufen", kalauern sie.

Schöne und traurige Momente
An den Schafen und den jungen Lämmern hängen nicht allein die Herzen der sieben im Club vereinten Mannen. Auch bei ihren Frauen, Kindern und Enkelkindern herrscht eine Riesenfreude, wenn die kleinen wolligen Schaf-Bébés fröhlich herumtollen. Getrübt werden solch glückliche Stunden allerdings auch schon mal, etwa durch jenen Dieb, der sich vor vielen Jahren ein Schaf behändigte. "Das Schlimmste für uns aber war, als ein Lämmchen mit offenem Bauch auf die Welt gekommen ist. So etwas bringt auch uns zum Weinen", beschreibt Fritz Knuchel die traurigen Seiten der im Hobby ver-einten Schafhalter.
Doch das Glück überwiegt. "D'Schöf vu Brambrüesch" ist so ein Glück. Ein Lied, das Peter Zinsli anlässlich einer Geburt
eines Lammes, bei dem er als Geburtshelfer fungierte, komponiert hat. Glücklich sind die "Schäfer" vor allem aber auch jeden Montag, wenn sie sich zu ihren gemeinsam "Schaf-Höcks" in der alten Hütte über dem Stall treffen, sich ihre Schaf-Erlebnisse erzählen, ihre "Weiterbildungstage", die sie u. a. auch an die Olma führen, planen, oder wenn sie ganz einfach und wie
so oft in Erinnerungen an vergangene glückliche Schafzeiten schwelgen.

Hobby schweisst zusammen
Alle Schafe gehören allen UDM-Mitgliedern gemeinsam: Röbi Gmelin, Piero Previtali, Hanspeter Krebs, Louis Fleischmann, Werner Kürsteiner, Ernesto Wiederkehr und Fritz Knuchel, der seit September Präsident der UDM ist. Gemeinsam kümmern sich die Sieben ebenfalls um die Grundstücks- und Obstbaumpflege und um alles andere, was das Jahr durch so an Arbeit anfällt. "Sicher ist", sagt Fritz Knuchel, "dass unsere Vereinigung nur dank unserer guten Kameradschaft nie auseinandergebrochen ist. Wir haben glückliche und traurige Momente geteilt und alle Hochs und Tiefs gemeinsam erlebt und überlebt."

Starke Männer, weiche Herzen
Dass die UDM-Schafe namenlos sind, hat übrigens einen triftigen Grund: "Wenn wir ihnen keine Namen geben, fällt es uns nicht ganz so schwer, wenn wir mal eines auf die Schlachtbank führen müssen", sagen Previtali und Knuchel. Ein altes Vorurteil wollen sie gleich auch noch ausräumen: "Schafe sind nicht dumm, aber sie sind sehr sensibel."