Kommt er wieder, der Dezember - naht das Ende des Kalenders. Und eigentlich ist das auch gut so. Der Stress wird auch in diesem Jahr die vorweihnächtliche Freude und die Zeit der Stille verdrängen. Weihnachten selbst ist auch nicht mehr das, was sie noch nie war. Warum eigentlich mit den guten Vorsätzen auf das neue Jahr warten? Jede Jahreszeit eignet sich dazu, einmal gefasste Vorsätze sofort wieder zu vergessen. Das ist eine kluge Art der Stressbewältigung, dass man sich etwas vornimmt und dann einfach nicht ausführt.

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Stefan Bühler


Stressverzicht

 

Ein Beispiel: Man beschliesse, einen Leserbrief zu schreiben, um seinen Frust loszuwerden. Etwa zum Thema Meteo in der Tagesschau des Schweizer Fernsehens. "Liebes Schweizer Fernsehen, welcher Idiot ist eigentlich auf die Idee gekommen, vom Dach aus den Schweizern das Wetter zu erklären? Das ist wieder so ein typisches Zürcher Jetzt-Komm-Ich-Gehabe, weil die Zürcher sowieso meinen, der Nabel der Welt zu sein. Da blendet man dann den ganzen Smog und Nebel rund um das Hochhaus in die guten Schweizer Stuben, um allen die Stimmung zu verderben. Und erst noch unserem Tourismus zu schaden." Das Problem und der Stress beginnt nun bei der Frage, an wen man den Leserbrief schicken soll. Die Zürcher drucken das womöglich nicht, weil sie nicht wissen, was wir haben. Und die hiesigen Leser sind sowieso gleicher Meinung. Damit wird aus diesem
Leserbrief nichts. Ein Schritt in Richtung Stressverzicht ist getan. Der erste Vorsatz ist vom Tisch - ein Glücksfall für den Schreiber, die Zeitung und den Leser.
Warum soll man sich auch selbst immer wieder unter Druck setzen, wo das doch andere einem liebend gerne abnehmen? Indem sie Dich beispielsweise zum Essen nach Hause einladen und Du schon wieder überlegen musst, was für ein Geschenk angemessen ist und was bei der unvermeidlichen Gegen- Einladung gekocht werden soll. Dabei ist das Mitbringsel bestimmt das kleinere Übel. Bestimmt hat jeder zu Hause so ein unnützes Geschenk, das er zum Zwecke der Weitergabe und zum Schutz der Geschenkpackung nie geöffnet hat.
Richtig stressfrei wird es erst, wenn man auf sämtliche Einladungen mit einer ausgewogenen Ausrede antwortet. An der Eröffnung des Benerparkes kann man allerdings nicht fehlen und den Start des neuen Migros- Einkaufscenters an der Gäuggelistrasse sollte man nicht verpassen. Dazu kommt die Quaderüberbauung mit dem Coop, das Sauwetter verschlägt uns in die neue Landi-Apotheke, und als zeremoniellen Pflichtstoff haben wir auch noch Weihnachtsmarkt, zwei Verkaufssonntage, Samiklaus und ACS-Beinwurschtabend.
Dabei wird alles teurer, nur die Ausreden werden billiger. Aber etwas verpassen? Die Vorbereitung für die christlichen Feiertage führen dann zur totalen Erschöpfung. Statt weiterhin nach einer Ausrede zu suchen, schaut man einfach in den Spiegel und findet letztere dort beim eigenen Anblick. Was aus dem Spiegel schaut, läuft zurzeit unter dem Titel "Der Herr der Ringe". Aber schliesslich hat sich der Versuch gelohnt. Es ist der Sieg der Vernunft über die Untauglichkeit, neue Vorsätze einzuhalten.

Stefan Bühler

 

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