Smalltalk

«Sie haben mich vom Schlappin-Joch heruntergeholt»
Er ist wohl der älteste Vertreter einer ausgestorbenen Berufsgattung im grafischen Gewerbe: Hans Schmid, 92-jährig, Churer Bürger. Vor genau
75 Jahren hat er in der Buchdruckerei Josef Casanova am Regierungsplatz die Lehre als Schriftsetzer angefangen. Bei einem Smalltalk im Café Fontana an der Klostergasse 5 hat er über jene Jahre geplaudert, als noch nichts auf unser Zeitalter hindeutete, in dem alles Blei überflüssig geworden ist.

Text und Bild: Walter Schmid

«Den Winkelhaken hab ich immer noch bei mir zuhause, das erste Werkzeug, das mir beim Lehrantritt am 1. März 1929 in der Buchdruckerei Casanova in die Hand gedrückt wurde. Aus dem Setzkasten haben wir Buchstaben um Buchstaben im Winkelhaken zu Wörtern aneinander gereiht. Dieser Bleisatz wurde dann in die Buchdruckmaschine eingebaut und der Auflagendruck konnte beginnen. So entstanden bei Casanova das Kantonsamtsblatt, der Bündnerkalender, Anzeigen aus dem Handelsregister usw.
Eine Spezialität von uns war damals der Druck von Wertschriften für die Kantonalbank. Beim Setzen und Drucken war immer ein Direktionsmitglied dabei, das schlecht gedruckte
Papiere sofort vernichtete. Als Stift fiel mir die Ehre zu, die fertigen Obligationen im Wert von manchmal einigen hunderttausend Franken auf dem Leiterwagen durch die Storchengasse zum Postplatz und in die Bank zu karren und dem Portier zu übergeben.
Nach der vierjährigen Lehre erhielt ich als Ausgebildeter einen Wochenlohn von 72 Franken. Einer der wichtigsten Aufträge war damals der Druck von zweistimmigen Kirchen- und Jungmannschafts-Gesangsbüchlein, eine echte Spezialität, da es in der ganzen Schweiz nur noch einen Betrieb gab, der diesen Bereich abdeckte. Unser Musiknotensetzer spielte Trompete bei der Union. Er hat immer gesagt, um diese Arbeit korrekt und fehlerfrei ausüben zu können, müsse man das Lied, das man setzt, bei der Arbeit vor sich hin summen. Als dann immer mehr Aufträge kamen, hab auch ich gelernt Musiknoten zu setzen. Dazu waren Notenkenntnisse erforderlich, die ich mir im Klavierunterricht bei einem Vikar auf dem Hof aneignete.
Ende 1935 rief mich der Prinzipal Toni Casanova zu sich. ‘Hans’, hat er gesagt, ‘wir kommen mit dem Handsatz nicht mehr weiter, wir kaufen eine Setzmaschine und haben dabei an dich gedacht’. Mit Stolz hab ich als 23-jähriger dieses Angebot natürlich angenommen und wurde nach der Umschulung der erste Maschinensetzer bei der Buchdruckerei Casanova. Meine Maschine wurde in riesigen
Kisten angeliefert, mit der Beschriftung ‘Intertype Incorporation Brooklyn New York USA’. Ende 1936 wurde die Maschine im Untergeschoss am Regierungsplatz 30 in Betrieb genommen. Das war wie ein Weltwunder für die damalige Zeit. Wie auf einer Schreibmaschine wurden Buchstabe für Buchstabe gesetzt und in einer Zeile komplett in Blei ausgegossen. Dadurch erreichte man eine fünf- bis zehnfache Geschwindigkeit gegenüber dem Handsatz. Fortan hab ich darauf den Satz für das Kantonsamtsblatt, den Bündnerkalender, Botschaften der Regierung, verschiedene Drucksachen usw. erstellt.
Die Welt steckte damals in einer Wirtschaftskrise und man ahnte bereits, was auf uns zukommen würde. Am 29. August 1939 wurde ich zum Aktivdienst aufgeboten. Somit fehlte der Druckerei der Setzer. Damit das Kantonsamtsblatt dennoch herauskam, erwirkte die Bündner Regierung dank ihres Einflusses beim Kreiskommando spezielle Dispensen für mich. Einmal holten sie mich für einige Wochen direkt vom tiefverschneiten Schlappin-Joch herunter an die Setzmaschine, ein andermal aus der Silvrettahütte.
Nach dem Dienst war ich wieder voll im Betrieb tätig. Der ständige Kontakt mit Blei, die Dämpfe und feinen Partikel im schlecht durchlüfteten Raum haben sich negativ auf meine Gesundheit ausgewirkt. Nach 17 Jahren bei der Buchdruckerei Casanova habe ich auf Anraten des Arztes eine neue Stelle als Maschinensetzer angenommen und bin für zehn Jahre mit der noch jungen Familie nach Davos gezogen. Danach stand ich ab 1955, bis zur Pensionierung vor 27 Jahren, in den Diensten des Bündner Tagblatts als Maschinensetzer und später als Korrektor. Damals schon begann sich das Berufsbild des Setzers zu verändern. Und mit der technischen Umstellung von Licht- und Fotosatz auf Desktop-Publishing ist diese einst stolze Berufsgattung von der Bildfläche verschwunden.»

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