Dass Schweizertum und Patriotismus nicht die Domäne der SVP bleiben müssen, haben inzwischen selbst die Linken gemerkt, die mit roten T-Shirts mit Schweizerkreuz in den Wahlkampf steigen. Oder mit einem Plakat, das auf dem Gemälde «Rütlischwur» von Johannes Renggli dem Älteren von 1891 basiert. Der in der Mitte postierte Arnold von Melchtal trägt ein Schweizer Kreuz, Walter Fürst die Flagge der Europäischen Union, während Werner Stauffacher stolz die Farben der Vereinten Nationen trägt. «Unser Patriotismus kennt keine Grenzen», ein Slogan, der schon wieder wie eine Entschuldigung wirkt.

buehler.jpg (7132 Byte)
Stefan Bühler


Alles fliesst

Dabei gab und gibt es immer wieder Gruppierungen, die sich gegen zu viel Patriotismus wenden. So drohte etwa im Vorfeld der Landesausstellung 1914 in Bern die Industrie mit Boykott. Grund dafür war die kulturkritische Haltung der Gewerbler, die sich gegen die profitorientierte Industrie wandten und vor allem das Schweizertum pflegen wollten. Damals wurden die ersten Globalisierungsleichen geboren.
Allzu offen Patriotismus an den Tag legen ist des Schweizers Sache nicht. Bei den Griechen konnten wir an der Fussball-EM nach jedem Sieg lernen, wie man Flagge zeigt. Stattdessen ducken wir uns als Schweizer, weil einer spuckt und der andere ein Tor aberkennt. Die Gesichter der Fussball-Funktionäre sahen aus, als hätten sie drin geschlafen. Sind wir froh, werden wir im August vom Nationalfeiertag auf andere Gedanken gebracht. Und sei es nur, um den Touristen etwas zu bieten. So dem Sinne nach: «Mutti, lass die Ziegen raus, die Gäste wollen Gämsen sehen».
Die gegenwärtige labile Befindlichkeit beim Thema Schweizertum kann man in Bern erkennen. Eine Motion, die eine neue Regelung für die Beflaggung des Bundeshauses erwirken wollte, wurde abgelehnt. Während den Sessionen der eidgenössischen Räte sollte das Parlamentsgebäude vom ersten bis zum letzten Sessionstag mit einer Schweizerfahne und allen Kantonsfahnen geschmückt werden. «Die Beflaggung mit den Kantonsfahnen am Nordbalkon sollte sich weiterhin auf spezielle Festtage beschränken und Ausdruck besonderer Freude oder Veranlassung bleiben», meinte der Bundesrat und lehnte ab. Was wir bisher ahnten, wird damit von höchster Stelle offiziell bestätigt: Eine Parlamentsdebatte ist kein Ausdruck besonderer Freude.
Auf dem Bundesplatz hätten jetzt die Kantone Gelegenheit, ihre Verbundenheit mit dem Land zum Ausdruck zu bringen. Der neue Brunnen, der mit 26 Fontänen alle Kantone repräsentiert, wird dort nämlich am 1. August feierlich eingeweiht. Neun Kantone haben die Einladung, je 10000 Franken an ihre Fontäne zu zahlen, dankend abgelehnt. Mit beschränkter Verbundenheit und reduzierter Solidarität wird er trotzdem zu sprudeln beginnen. Und das Wasser wird über den strukturierten Valser Gneis fliessen, wie es Heraklit von Ephesus immer gesagt hat: «Alles fliesst und nichts bleibt». Ehrensache, dass der Kanton Graubünden der Einladung auf finanzielle Unterstützung Folge geleistet hat.
Goethe hat geschrieben: «Man hat gesagt und wiederholt: wo mir's wohlgeht, da ist mein Vaterland!» Doch wäre dieser tröstliche Spruch noch besser ausgedrückt, wenn es hiesse: «wo ich nütze, ist mein Vaterland». Nur wo ich spritze, soll nicht von Bern diktiert werden. «Wenn der Mensch sich etwas vornimmt, so ist ihm mehr möglich, als man glaubt». Dieser Aufruf von Johann Heinrich Pestalozzi sollte am 1. August jeder befolgen. Die Schweiz käme zu einem Fahnenmeer, ohne je ein Fussballspiel gewonnen zu haben.

Stefan Bühler

zurück