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Pascale Wiedemann: «Kunst darf fast alles und kann fast nichts»

Pascale Wiedemann, 38, gilt als bedeutende Vertreterin der jüngeren Schweizer Kunst. Ihre Arbeiten, vorwiegend Videoinstallationen, Objekte und Fotografien, vereinen erfrischende Ironie und beklemmenden Ernst. Die in Chur geborene Künstlerin lebt seit drei Jahren in Chur.

«Ich glaube, dass sich Künstler viel von dem bewahren können, wie’s als Kind war: Man forschte, experimentierte und entdeckte. Das hat für mich etwas mit Leichtigkeit und Unbedarftheit zu tun. Es ist mir vielleicht drei, vier Mal gelungen, dieses Gefühl genau zu treffen. All die anderen vielen, vielen Arbeiten sind der Weg dazu. Da muss man, denke ich, sehr grosszügig mit sich sein: Man kann nicht jedes Mal die Welt neu erfinden.

Meine Kunst will vielleicht viel, aber sie kann vermutlich nicht so viel. Das Schöne an Kunst ist ja, dass sie fast alles darf und fast nichts kann.

Ich hätte gerne, dass die Leute angeregt werden von meinen Arbeiten – auf welche Art auch immer – dass sie im besten Fall schmunzeln oder lachen, dass sie nachdenken oder sich an etwas erinnern. Am Schönsten ist es, wenn Leute kommen und sagen: Das erinnert mich daran, wie wir damals als Kind… Aber auch, wenn jemand sagt: Das ist doch komplett falsch!

Die Anfänge
Ich war sehr froh, als ich damals die Aufnahmeprüfung an die Hochschule für Gestaltung in Zürich bestand. Davor hatte ich eine Lehre als Dekorationsgestalterin gemacht und war während zehn Jahren Schwimmerin, musste aber wegen einer Knieverletzung aufhören. Das war eine schlimme Zeit; die Lehre, die Vorpubertät … alles kam zusammen.

Mit knapp 20 Jahren zog ich nach Zürich und liess mich zur Innenarchitektin und Produktegestalterin ausbilden. Danach studierte ich ein Jahr lang Bühnenbild an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien.

Zurück in Zürich machte ich zusammen mit drei Mitstudierenden meine Abschlussarbeit als Industriedesignerin. Wir verwirklichten eine Theaterinszenierung. Aufgrund dieser Abschlussarbeit bekam ich dann Aufträge als Bühnenbildnerin. Ich arbeitete mit dem Regisseur Peter Schweiger zusammen und für freie Produktionen, für die Rote Fabrik beispielsweise oder die Gessnerallee.

Der Durchbruch
Durch Zufall wurde ich 1994 an den Steirischen Herbst in Graz eingeladen; das ist die avantgardistische Ausstellung. Meine grosse Leidenschaft galt ohnehin der bildenden Kunst – aber ich traute mich bis dahin nicht, auszustellen.

So kam ich also wie die Jungfrau zum Kinde an diese Ausstellung, die ich zuvor nicht einmal gekannt hatte. Ich zeigte dort meine Tierchen: 180 batteriebetriebene Spielzeugmaschinen, denen ich das Fell über die Ohren gezogen hatte und deren Pelz oder Gefieder ich in Umkleideschränke hängte. Die Tiermaschinen liefen ziel- und planlos in einem Keller herum.

Danach ging’s los: Ich begann als Künstlerin zu arbeiten, parallel dazu machte ich Bühnenbilder und Filmausstattungen. Ich arbeitete auch – als ehemalige Schwimmerin – jahrelang als Bademeisterin im Letten und in der Enge. Es war eine wilde, reiche, gute und schwierige Zeit. Ich durfte an sehr schönen und wichtigen Orten ausstellen und gewann viele Stipendien – eines ergab das andere.

Ein halbes Jahr lebte ich im Bündner Atelier in Paris, ein Jahr in Genua in einem Atelier der Stadt Zürich. Während dieses Genua-Aufenthalts bekam ich einen Auftrag in Chur, und zwar sollte ich das Plakat fürs Jazz-Festival gestalten. Am Jazz-Festival lernte ich meinen Mann kennen und so kam ich, ohne es zu wollen, nach Chur zurück. Das war vor drei Jahren.

Zurück zum Start
Ich fühle mich sehr wohl hier, aber zu Anfang hatte ich schon Mühe. Der Einstieg war extrem harzig, ich kannte niemanden und bekam den Eindruck, ich sei im falschen Film. Ich musste merken: Niemand wartet hier auf mich. Und in Zürich hatte man mich fast schon vergessen, weil ich nicht mehr präsent war. Die ganze Kunstszene ist ja sehr schnelllebig.

In meiner Arbeit geht es immer um Innerlichkeiten: Liebe, Freundschaft, Familie, Geborgenheit – all diese unmittelbaren Belange, dieser Kokon, der ganz wertvoll ist für mich.

Zu Themen komme ich einerseits, wenn ich etwas sehe, das meine Gedanken in Bewegung bringt, oder indem ich extrem Lust verspüre, etwas zu tun. Beim Stricken war es so: Ich hatte einfach eine ganz grosse Sehnsucht, etwas aus diesen Fäden zu erschaffen, ein Gewebe zu formen. Zwei Jahre meines Lebens habe ich nur gestrickt. Ich weiss auch nicht, woher ich die Geduld dazu hatte, ich bin eigentlich kein geduldiger Mensch. Aber ich musste es einfach machen, weil ich das Resultat sehen wollte. Und ich wollte das Resultat unbedingt sehen!

Der Motor
Dabei ist es für mich wichtig, dass nicht jemand in Taiwan oder Rumänien die Arbeit ausführt. Ich möchte am Schluss den Stolz haben, dass ich das geleistet habe. Das ist der Motor – und dem wird alles unterstellt.

Wenn ich an der Arbeit bin, wie letzten Winter, als ich nur Gobelin gewirkt habe, dann belästigt mich schon der Gedanke, dass ich auf die Toilette muss. Ich werde dann etwas merkwürdig, vergrabe mich völlig.

Wie es ist, wenn ich die Arbeit fertig habe? Schrecklich! Dann kommen ganz viele Zweifel und ich falle in ein Loch. Das legt sich dann aber wieder.

Die Arbeit
Ich arbeite recht unterschiedlich. Meist laufen verschiedene Projekte nebeneinander und ich erledige dann einfach das, was am Dringendsten ist. Dadurch, dass ich wechsle zwischen Bühnenbild, Grafik und Kunst muss ich mich auch immer wieder neu einstimmen.

Ansonsten mache ich meine Arbeit wie ein Buchhalter auch. Mein Tagesablauf ist deshalb extrem unspektakulär: Spätestens um halb neun bin ich im Atelier, wo ich zuerst die unangenehmeren Dinge wie Mails beantworten, aufräumen und so erledige. Dann beginne ich zu arbeiten und bin mehr oder weniger den ganzen Tag im Atelier bis abends um sieben oder acht.

Ich empfinde meine Arbeit nie als ein Müssen. Ich gehöre vermutlich zu den wenigen Menschen, die von dem leben können, was sie gerne machen.

Die Undramatische
Ab nächstem Jahr werde ich mit meinem Mann, der Architekt ist, zusammenarbeiten. Wir werden Gesamtkonzepte anbieten. Das kann ein Neubau sein, die Änderung einer Restauranteinrichtung oder ein Bühnenbild. Darauf freue ich mich.

Beziehung und Arbeit sind für mich das Wichtigste. Wenn ich gesund bin und arbeiten kann, einen guten Hintergrund mit Freunden und Familie habe, dann bin ich zufrieden. Ich bin eigentlich fast schon wunschlos glücklich. Aber vielleicht ist das gar nicht gut, wenn man das als Künstlerin sagt… ich bin halt keine dramatische Künstlerin. Ich bin eine Antihysterikerin.»

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