Kurzgeschichte

Die Badi Sand erzählt – Eine Sympathiebezeugung

Da habe ich mich tüchtig zur Wehr gesetzt, als dieser schnauzbärtige Schreiberling einfach über mich schreiben wollte. «Jetzt erzähle ich selbst.» Hämisch hat er gegrinst und meinte, ich könne ja nicht schreiben. «Aber diktieren kann ich», da hat er geschwiegen und begann zu schreiben.

Ich muss mich nicht vorstellen! Ich habe ein Sprungbrett. Das hat auch die grosse Schwester in der fernen Oberen Au. Sprungbrett zum Karrieresprung: Kurz in die Höhe und dann hinunter ins Nass. Hier unterbricht mich der Schreiberling – ich solle nicht philosophieren, sondern erzählen.

Übrigens – meine grosse Schwester in der Oberen Au. Was hat die schon für eine Geschichte: ewiger Rheinsand. Doch hier bei mir, die Nachbarn: elftausend Jahre alte Wohnstätte, Kathedrale und soll ich noch die Weinberge mit dem Churer Schiller erwähnen? Ich bin ein Spiegelbild der Kulturgeschichte, Reflexion des Zeitgeistes. Halt! Kein Philosophieren! Ja, fällt mir schwer bei dieser auch geistig-geistlichen Umgebung. Sitte und Anstand, Ethik und Moral war bei meinem Entstehen erstes Gebot. Da prallten Welten aufeinander: Halbnackt Badende beim Badespass hier, dort studierende Priester oben in St. Luzi. Verschiedenste Massnahmen wurden ergriffen: Holzwände zur einseitigen Sichtbehinderung, Trennung der Geschlechter in getrennte Badezeiten, ein wachsamer Bademeister und möglichst kaltes Badewasser.

Kinder waren die häufigsten Badegäste. Scheu, mit grossem Respekt vor allem vor meinem Becken mit der Warnung «Nur für Schwimmer». Hier bin ich sehr tiefgründig. Bleich, mit langen Badehosen und einem Tüchlein unter den Arm geklemmt betraten sie mein Zuhause. Sie kamen aus den Altstadtgassen und gingen im Nikolai in die Schule. Wo sonst als auf meiner Liegewiese konnten sie Sonne tanken? Auch im Hochsommer schien nur wenig Sonne in die Gassen. Es war eigentlich recht ruhig: lachen und schwatzen.

Mit den Jahren spürte ich die gesellschaftlichen Veränderungen. Die Schulkinder bekamen nun Schwimmunterricht und sie kamen nun nicht nur aus der Altstadt. Auch aus dem entfernten Rheinquartier kamen sie verschwitzt zur Abkühlung. Einige erzählten von Ferien im Tessin und Italien, vom Meer! Am Lago Maggiore und an der Adria sei es viel lässiger als in der Badi Sand. Mich liess das kalt bis auf den Tag, als meine grosse Schwester eingeweiht wurde. Ich bekam zu hören, das wohl meine Tage gezählt seien. Doch viele Churer blieben mir treu. Ein gutes Verhältnis habe ich zu den Bademeistern, eine Familienangelegenheit. Nach Jahren folgte der Sohn dem Vater und dieser ist heute noch mein Partner. Beeindruckend sein Vater: ein Könner auf dem Sprungbrett. Elegant sein Abheben und das perfekte Eintauchen! Das hat ihm keiner nachgemacht.

Meine Beliebtheit stieg trotz Angebot meiner Schwester Obere Au. Klar war es mit der Ruhe vorbei. Burschen scharten sich um einen batteriebetriebenen Plattenspieler und verbreiteten Beatmusik. So lange bis die Sonne die Schallplatten verbog. Bei den Churer Jugendlichen war das Scharren reizvoll, eine Art Flirt. Es ergaben sich dann auch Pärchenbildungen. Doch viele waren davon weit entfernt. Mehr Aufsehen und Aufregung gab’s dann als zum ersten Mal die Grundregeln jäh durchbrochen wurden. Frauen entblössten ihren Busen und es begann auch in Chur das Zeitalter von oben ohne. Bei einigen weiblichen Wesen durchaus erfreulich, bei andern fast grässlich. Und wieder Kinder: Mehr und mehr erschienen sie bereits zu Saisonbeginn braun gebrannt. Das hat mich erstaunt. Doch die Liegewiese wusste zu berichten, dass dies von den Winterferien in Südostasien und von den Höhensonnen herrühre – braun ist in, bleich ist out! Ach, übrigens von den Liebespärchen, vom Kummer, von den rauchenden Schulbuben zwischen Wechselkabinen und Zaun und den nächtlichen Besuchen will ich nicht allzu viel verraten.

Mächtig stolz bin auf ein kulturelles Ereignis: Für ein Freilichtspiel wurde ich als Aufführungsort auserwählt. Leider wurde ich in jüngster Zeit wieder arg aufgeschreckt. Ich soll einem Schulcamp weichen! Bagger würden mich in wenigen Tagen dem Erdboden gleich machen und man würde, wenn noch, von mir nur noch in der Vergangenheitsform reden. Meine treuen Besucher versuchten mich zu beruhigen. Und doch ging ich mit diesem unguten Gefühl des Verschwindenmüssens in den Winterschlaf. Erst vor ein paar Tagen, kurz nach dem Erwachen aus dem Winterschlaf bin ich beruhigt worden. Eines Morgens stand mein Bademeister am Bassinrand, hob den Daumen und winkte mir freundschaftlich zu. Da wusste ich, erfreut und definitiv: Es geht wieder los!

Domenic Buchli

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